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Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Titel: Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Sitzmann
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zwischen 150 und 200 Kilo wiegt? Der kann das Frühstück in Berlin gleich vergessen und geht direkt zum Mittagessen über.

    Hierzu ein kleiner Erlebnisbericht am Rande: Von einer Rollifahrerin weiß ich, dass auch das mit dem Mobilitätsservice nicht immer astrein funktioniert. Sie erzählte, dass sie einmal wunderbar mit der Hilfe dieses Services in den Zug nach Freiburg gehoben worden war. Nur: Als der Zug in Freiburg hielt, war keiner mehr da, um ihr wieder rauszuhelfen. Und so hätte sie bis Basel fahren müssen, hätte sie nicht laut um Hilfe gerufen, sodass Mitreisende und Schaffner anpacken konnten. Für die Frau war das bestimmt ein Schockmoment. So etwas habe
ich auch schon erlebt: Du kommst irgendwo an und da ist keiner. Ich helfe mir dann, indem ich meiner Begleitung sage: »Schmeiß bitte die Tasche raus, dann nimm meinen Stuhl, ich setze mich so lange auf den Teppich im ICE, und wenn alles draußen ist, dann komm ich hinterher gekrabbelt. Und dann hoffen wir mal, dass die Tür nicht gleichzeitig zugeht oder ich auf die Gleise falle. Wenn du aber allein reist, hast du keine Chance. Obwohl sich meistens – Gott sei Dank! – in solchen Momenten sehr hilfsbereite Mitreisende finden. Die nehmen dann gern den Koffer. Aber ein schönes Gefühl ist das nicht, dem Zufall ausgesetzt und von unbekannten Mitreisenden abhängig zu sein. Wie ich oben schon beschrieben habe, meinen Körper möchte ich nicht jedem anvertrauen. Also – so ist Reisen auf keinen Fall entspannt.

    Zurück ins Reisebüro. Max ist verdrossen. Ein Mensch mit Behinderung ist also gezwungen, einen späteren Zug nach Berlin zu nehmen, das hat er jetzt begriffen. Die einzige Möglichkeit wäre, individuell (nicht aber mit der Bahn!) bis zum Frankfurter Hauptbahnhof zu kommen, denn dort steht der Hilfsdienst 24 Stunden am Tag bereit. Die Darmstädter Behinderten müssen warten.

    Mit der S-Bahn nach Frankfurt, das hieße: ebenerdig raus, Aufzug hoch, zu den Gleisen. Das ginge, wenngleich es ein bisschen umständlich ist. In der S-Bahn stehst du permanent im Einstiegsbereich und hältst dich an der Stange fest. Einen Behindertenbereich gibt es dort nicht. Im Bus ist der vorgeschrieben, rein theoretisch müsste man sich dort sogar anschnallen. In der S-Bahn dagegen – nichts dergleichen. Und wenn die Fahrt eine halbe Stunde dauert, dann spielst du also eine halbe Stunde Klammeraffe. Das ist nicht gerade bequem,
aber immerhin machbar – sofern der Rollstuhl Bremsen hat. Andernfalls, oder wenn die Armmuskeln zu schwach sind, rutscht der Behinderte unter Umständen wie ein Stück Seife durch den Wagen. Ein echtes filmreifes Spektakel!

    »Nehmen Sie doch den Zug um 8 Uhr 31«, quengelt der Mann am Schalter, »dann ist die Hilfe in Darmstadt gewährleistet. Allerdings ist das kein Sprinter ...«

    »... und aus dem Frühstück wird ein Mittagessen«, merke ich an. Max zieht seine Augenbrauen hoch. Der Berater verwandelt sich fast in eine Schildkröte, als er feststellt, dass Max und ich nicht sofort vom Schalter verschwinden. Er zieht den Kopf ein und wartet ergeben, bis der schreckliche Sitzmann und sein Kumpan endlich weg sind. Sein Bildschirm wirkt wie eine Art Panzer, eine imaginäre Milchglasscheibe, die ihm Schutz vor uns bieten soll. Schweigend und mit leicht zittrigen Fingern schiebt er uns die Visitenkarte des Mobilitätsservices hin, der uns allerdings bei dieser Fahrt nicht helfen wird.
    »Besten Dank!«, murmelt Max und ich nuschele etwas von einem »schönen Tag«. Höflichkeit muss sein.

    Falls ein führender Mitarbeiter der Deutschen Bahn dieses Buch liest, sollte er Folgendes zur Kenntnis nehmen: Für einen Behinderten – und ich nehme an, für jeden anderen Reisenden ebenfalls – ist es ein Unterschied, ob er sechs oder vier Stunden im Zug verbringt. Je schneller so eine Zugfahrt vorbei ist, desto besser ist das. Deswegen stehe ich dafür auch gern mal ein halbes Stündchen früher auf. Und ich möchte diese Züge gern benutzen können, selbst wenn ich nicht in der Nähe des Frankfurter Hauptbahnhofs oder eines anderen Großbahnhofs wohne. Ja, es gibt auch Taxen von Darmstadt
zum Frankfurter Hauptbahnhof, aber die kosten locker 60 Euro, und die muss man selbst zahlen. Denn nur weil du zu einer unorthodoxen Zeit unterwegs sein willst, übernimmt die Bahn natürlich keine Kosten. Wo kämen wir denn da hin? Hier ist also das Reisen schon mal nicht barrierefrei und selbstbestimmt!
    Wenn man es dann – mit oder ohne

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