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Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Titel: Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Sitzmann
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keinen Platz für Beine brauche. Ich bestelle ihn und etwa drei Wochen später steht der Rollstuhl vor meiner Tür. Niemand wundert sich dort, dass ich viel Wert auf Aussehen, Form und Farbe lege. Es
gehört dazu. Und es macht Spaß, sich seinen eigenen Rollstuhl zu kreieren. Das ist auch ein Teil von Mode, und Mode belebt und begeistert. Mode und Schönheit mögen oberflächliche Nebensächlichkeiten sein, aber sie spiegeln einen Teil unseres Charakters wieder – und sie verbinden Menschen. Deswegen sollte Mode jeden Menschen mit einbinden. Es wäre beispielsweise schön, wenn man Models nicht die Haare grau färben, sondern stattdessen direkt Models mit grauen Haaren nehmen würde. Und es wäre toll, wenn Mode vielfältiger wäre – nicht in Farben und Formen, sondern in Menschen und ihren speziellen Eigenschaften. Jeder ist ein Unikat und jeder kann von jedem profitieren.

KAPITEL 11
Urlaub
    Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen – so lautet eine alte Volksweisheit. Ein anderer schlauer Mensch hat mal gesagt, dass man niemals so heimkommt, wie man weggegangen ist. Auch wahr. In meinem Fall ist die Fülle der Erfahrungen nicht nur vergnüglich, sondern lässt mich immer wieder erkennen, wie lückenhaft das Streckennetz der Inklusion noch ist. Es soll zusammenkommen, was lange nicht zusammengehörte: der Behinderte und der gemeine Fußgänger auf zwei Beinen. Man denke nur an die wunderbaren Autobahntoiletten, vor denen Menschen, die sich auf Beinen bewegen, sich hinter einen Strauch oder Baum retten können, denen aber der Mensch auf Rädern hilflos ausgeliefert ist. In die Hose machen oder Augen und Nase zu und durch, lautet da oft die Devise.
    Reisen ist für Menschen mit Behinderung schon lange keine unmögliche Sache mehr, aber natürlich ist es für sie trotzdem nicht so einfach wie für unversehrte Leute. Spontan auf und davon, das geht nur unter ganz bestimmten, eher exklusiven Bedingungen. Ich habe mich mal mit einer Rollstuhlfahrerin unterhalten, die erzählt hat, dass ihre schönsten Reisen immer die mit dem behindertengerechten Wohnmobil sind. So etwas kann man sich wohl zum Beispiel in Heidelberg leihen. Natürlich für viel Geld, aber wenn man sich’s leisten kann ... In so einem Wohnmobil sind alle notwendigen sanitären Einrichtungen vorhanden, da kann sie duschen, auf einer Rampe hineinfahren und womöglich noch selbst fahren. Damit ist man wirklich unabhängig. Man kann fahren,
wohin man will, und hat sein behindertengerechtes Haus immer dabei.
    Ansonsten musst du als behinderter Urlauber immer von vornherein genau wissen, wohin du willst und was du machen willst. Alles erfordert intensive, detaillierte Planung. Eine Städtereise oder ein Badeurlaub am Meer? Wellness-Urlaub oder vielleicht eine Studienreise? Oder eine Safari? Mit dem Auto, dem Zug oder per Flieger? Und um es ganz klar zu sagen: Nicht jeder Reisetraum ist tatsächlich realisierbar. Manche Ziele sind einfach nicht barrierefrei, Punkt. Fahr mal als Rollifahrer nach Venedig: Spätestens bei der dritten von gefühlten 48 000 Brücken (mit Stufen!) gibst du entnervt auf und träumst wieder vom Städtebild in Hamburg oder Berlin.
     
    Vor ungefähr zehn Jahren hat die Universität Münster 4000 Menschen mit Behinderungen befragt, ob sie schon mal auf eine Reise verzichtet haben, weil es keine guten Angebote für sie gab. Mehr als ein Drittel der Befragten musste bejahen. Ob sich das in den vergangenen zehn Jahren wesentlich verbessert hat, wage ich zu bezweifeln.
    Viele Reiseveranstalter haben schlicht noch nicht realisiert, dass behinderte Menschen gern reisen und durchaus auch dazu in der Lage sind. Ich zum Beispiel reise wahnsinnig gerne. Hierbei kommt es mir zugute, dass ich mit meinen Handicap-Augen nicht nur über den Golfplatz, sondern auch durch die Straßen, zum Bahnhof oder eben ins Reisebüro gehe. Nur wer die gewöhnlichen Alltagsbarrieren kennt, kann auch die potenziellen Komplikationen bei einer Reise einschätzen. Die Planung und Durchführung einer Reise mit Behindertenstatus erfordert ein hohes Maß an Umsichtigkeit und Kreativität. Ein Expertenrat im Reisebüro ist daher in jedem Fall eine feine Sache – insbesondere wenn man sich gern alles organisieren
lässt. Inzwischen gibt es schon einige darunter, die sich auf barrierefreies Reisen spezialisiert haben oder für behinderte Menschen wenigstens Spezialangebote im Sortiment haben. Um die Beratungskompetenz ist es hier jedoch – wie überall

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