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Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Titel: Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Sitzmann
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im Dienstleistungssektor – unterschiedlich bestellt: Manche machen ihre Sache richtig gut und haben einen selbstverständlichen und natürlichen Umgang mit ihren Kunden. Kennen sich in der Materie einfach bestens aus. Bei anderen hingegen spürt man die Lustlosigkeit bei der Beratung oder hat das Gefühl, dass sie nicht auf Augenhöhe mit dir sprechen. Von solchen Personen lässt man sich nur höchst ungern einen Urlaub organisieren, wenn es denn überhaupt dazu kommt.

    Ich persönlich bin ohnehin eher der Typ, der am liebsten alles selbst in die Hand nimmt. Ich recherchiere stundenlang im Internet, telefoniere und mache mich auf jede erdenkliche Weise schlau. Aber wie sieht es in »normalen« Reisebüros aus, wenn ich da als behinderter Mensch reinrolle?
    Mein Freund Max ist davon überzeugt, dass Deutschland beim Thema barrierefreies Reisen schon ganz weit vorn liegt. Deshalb habe ich ihn zu einem kleinen Reiseerlebnis eingeladen, das in einem ganz normalen Reisebüro startet, mit dem Wunsch, von Darmstadt nach Berlin zu reisen und dabei den ICE-Sprinter der Deutschen Bahn zu benutzen. Unsere Zeit ist knapp bemessen, die Reisezeit soll also möglichst kurz sein. Wir wollen eine frühe und schnelle Verbindung und eine späte schnelle zurück. Mit dem ICE ist die weite Strecke in fünf Stunden zu schaffen. Ab 5.40 Uhr können Züge nach Berlin gebucht werden: die perfekte Abfahrtszeit, wenn man rechtzeitig ankommen will, um in Berlin gemütlich zu frühstücken. Max hat mir von einem besonderen Café erzählt
und ich freue mich schon jetzt auf einen großen Pott heißen Kaffee.
    Als wir unser Anliegen, schnell von Darmstadt nach Berlin zu kommen, gegenüber einer »Servicekraft« des DB-Reisezentrums äußern, wird es mit einem Mal sehr still um den guten Mann. Er schaut uns nicht mehr an, sondern versinkt minutenlang hinter seinem Bildschirm. Funk-Kontakt abgebrochen. Totalausfall. Für mich nur schwer nachvollziehbar, denn es sollte doch keine große Sache sein, eine behindertengerechte Reise mit dem ICE zu buchen. Der Mann hinter dem Schalter gab schließlich Laut, dass es einen anderen Zug gäbe, mit dem es besser ginge. Wir bestanden aber auf dem frühen Zug. Was ich aus Erfahrung bereits wusste (Max und der Beamte aber noch nicht), war, dass die Sache einen großen Haken hat. Ich kann den 5.40 Uhr-Zug nicht nehmen, weil um diese Uhrzeit die Damen und Herren vom Mobilitätsservice noch tief und fest schlafen und erst zwanzig Minuten später aus ihrem Schlaf erwachen. Erst um 6 Uhr treten die ihren Dienst an. Will ich früher fahren, muss ich Freunde bitten, mich und den Rollstuhl in den Zug zu hieven. Der Mann hinter dem Schalter studierte dann eingehend eine Liste; scheinbar gibt es ein paar Ausnahmestädte, in denen der Mobilitätsservice schon etwas früher zur Verfügung steht. Darmstadt gehört jedoch leider nicht dazu.
    »Sie müssten da vielleicht anrufen, aber ausdrucken kann ich Ihnen die Liste nicht«, so der hilfreiche Berater. »Wenn Sie vor 6.00 Uhr reisen möchten, dann müssen Sie selbst Sorge dafür tragen, dass Sie in den Zug kommen.«
    »Können Sie uns vielleicht eine andere Hilfe anbieten?«, fragte Max, und sein Gesicht sprach Bände.
    »Nein«, antwortete der Mann hinter dem Tresen mit leichter Ungeduld in der Stimme, denn der nächste Kunde wartete
schon. »Es gibt keine Hilfe. Sie müssen sich selbst kümmern oder einen Zug nach 6.00 Uhr wählen.«
    »Wir könnten ja Passanten um Hilfe bitten«, lachte ich und stellte mir vor, wie sich morgens ein verschlafener Businessreisender mit Kaffeebecher in der Hand mit einem halben Mann und Rollstuhl belädt. Vielleicht denken Sie jetzt, na, der Sitzmann will doch gute Taten, dann soll er doch den Passanten eine Chance geben! Frage zurück: Würden Sie Ihr Kind jedem Menschen anvertrauen? Jemandem, den Sie nicht kennen? Mein Baby, also mein Körper, ist schon demoliert, und ich habe keine Lust auf noch mehr Blessuren, weil ein Mensch zwar hilfsbereit ist, aber vielleicht seine Kräfte überschätzt. Und ich will niemandem schaden, der beispielsweise Rückenprobleme hat, aber trotzdem hilft, weil sonst niemand da ist, und der deswegen die eigene Reise mit einem Bandscheibenvorfall frühzeitig beenden muss. Ich muss mir sicher sein bei den Menschen, die mich unterstützen. Und eigentlich ist so etwas ja auch nicht der Sinn der Sache. Mir kann man vielleicht noch helfen, doch was macht ein Rollifahrer, der in einem E-Rollstuhl sitzt, der

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