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Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Titel: Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Sitzmann
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Verbotsschild: »Ich muss draußen bleiben.«
    Ich hingegen will mit meinen Aktionen andere ermutigen: »Hey, schaut mal her, ich gehe zum ›bösen‹ Maßschneider und der beißt auch gar nicht, wo bleibt ihr?« Je deutlicher ich mir Rechte herausnehme, die mir ohnehin zustehen, desto mehr Menschen mit Handicap finden (hoffentlich) den Mut, mir nachzugehen. Dass sich einen Maßschneider nicht jeder leisten kann, räume ich natürlich ein. Es ist einfach ein Beispiel für viele Situationen da draußen, in denen es Menschen mit Behinderung nicht leicht gemacht wird. Denken wir nur einmal an die vielen Schwellen und hohen Bordsteinkanten.

    Es gibt ein paar Geschäfte, kleine Firmen, die sich auf Mode für Rollstuhlfahrer spezialisiert haben. Diese achten bei ihren Entwürfen darauf, dass zum Beispiel die Jeans hinten im Lendenbereich höher geschnitten sind, wegen des Zugs und damit man sie besser anziehen kann. Oder dass sie keine Taschen haben, auf denen man sich wundsitzen könnte. Mit diesen
Firmen habe ich mich jedoch nie beschäftigt, weil ich in diese Behindertenszene nie rein wollte. Außerdem geht es hier vor allem um Pragmatik, aber aus meiner Sicht nicht um Stil. Da gehe ich lieber in »normalen« Geschäften shoppen, kaufe das, was mir wirklich gefällt, und lasse hinterher vielleicht noch ein paar Kleinigkeiten ändern. Wenn ich allerdings richtig feine Sachen haben will, muss ich auf jeden Fall zum Maßschneider gehen. Das bringt die Behinderung »breites Kreuz« eben so mit sich.

    Zahlen muss ich das alles natürlich selbst – einen guten Look gibt es nicht auf Rezept. Dafür spare ich an anderer Stelle, denn Schuhe und Socken sind für mich kein Thema mehr ... Ärgerlich ist für mich der Hosenkauf. Die sind für mich grundsätzlich zu teuer. Es gibt natürlich tolle Hosen, aber bevor ich sie trage, werden erst mal die Beine abgeschnitten – viel teurer Stoff für die Tonne. Ich habe schon oft versucht, Verkäufern zu erklären, dass ich dieses Abschneiden auch direkt im Laden machen könnte, aber da beiße ich auf Granit. Vielleicht finden sie es zu makaber. Oder sie haben Mitleid – mit den armen Hosen ... Meine eigene Wertschätzung für Hosen ist eher verhalten, muss ich sagen, denn man sieht ja sowieso nicht viel davon.

    Auch bei Rollstühlen gibt es eine Mode. Damit meine ich, dass z.B. eine bestimmte Farbe dominiert. Mein Rollstuhl ist derzeit weiß. Es gibt zwei Firmen, die ich bevorzuge, die bauen einfach die schönsten Stühle. Ich mag es, wenn mein Stuhl gleichzeitig dezent und schlicht aussieht, aber doch eine gewisse Eleganz vermittelt.
    Theoretisch kann man sich einen Rollstuhl aussuchen, wenn die Krankenkasse mitmacht und dafür zahlt. Das war früher
noch eher möglich als heute. Zumeist bekommt man aber doch eher einen Standardrollstuhl, den typischen AOK-Chopper aus dem Krankenhaus – so ein Stahlschwein. Viele Leute gehen einfach ins Sanitätshaus und vertrauen auf die Ahnung, die die Verkäufer dort haben. Sie lassen sich Hintern und Beine vermessen, suchen sich dann ihr Rollstuhlmodell aus, konfigurieren es noch ein bisschen – welcher Rücken, welche Griffe, welche Bremsen, welche Räder und so weiter – und dann geht das Ding auf die lange Reise.
    Aktivrollstuhlfahrer wie ich suchen sich das alles lieber selbst aus. Der aktive Rollstuhlfahrer braucht einen Aktivrollstuhl, und das Ding muss richtig passen, damit du in jeder Situation fest »im Sattel« sitzt. Das ist wie bei einem Paar Schuhe: Man tanzt ja auch nicht mit Bergstiefeln Ballett. Ein Aktivrollstuhl ist – im Gegensatz zum Standardrollstuhl – wendiger, leichter, vielleicht auch besser zu verstauen, und er passt genau auf meine Körpermaße. Er sieht sportlicher aus und ist besser zu händeln für den Fahrer. Wenn ich mir einen Rollstuhl aussuche, fahre ich direkt zum Hersteller. Dort habe ich einen Ansprechpartner und weiß schon vorher, was für einen Stuhl ich haben will. Ich habe Kontakte in die Szene, und die Jungs, die ich dort treffe, sind in dem Bereich ebenfalls eitel. Das ist so, wie geile Schuhe haben zu wollen, die einfach rattenscharf aussehen und wie angegossen passen. Beste Materialien, schöne Farbe ... Ich weiß ganz genau, was der Markt zu bieten hat und wie mein Rollstuhl fahren, blinken und blitzen soll. All das ist wichtig, er muss gut zu handhaben sein und mir gefallen, denn ich werde ja viele Jahre in dieser Karre sitzen. Meistens wähle ich einen Sonderbau, weil ich ja

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