Blue liquid (Kommissar Pfeifers erster Fall)
Ich habe
mich im Institut umgehört. Sie ist tatsächlich nicht im Labor. Niemand hat sie
gesehen oder von ihr gehört.“
Es
entstand eine kleine Pause, in der Svea sich sammelte und genau überlegte, was
sie ihm sagen wollte. „Also, hör zu und unterbrich mich nicht“, gab sie
mürrisch zurück. „Pauline war am Samstag auf meiner Party. Mein 30. Geburtstag,
falls es dich interessiert…“
„Tut es nicht“, brummte Peter. Diesmal ließ Svea sich jedoch nicht
provozieren und fuhr mit ihrer Erzählung unbeirrt fort: „… sie ist gegen eins
gegangen, wollte aber noch einen kurzen Spaziergang machen, bevor sie nach
Hause fuhr. Sonntags rief ich sie an, um sie zu bitten, mit mir an den See zu
fahren, konnte sie aber nicht erreichen. Weder zu Hause noch auf dem Handy. Ich
stand auch vor ihrem Haus und habe zu ihrem Fenster hochgesehen. Kein Licht,
kein Lebenszeichen. Und heute ist sie nicht zur Arbeit erschienen…“ Svea
verstummte. Wieder Stille am anderen Ende.
„Nochmal, wie kommst du darauf, dass sie ausgerechnet bei mir sein
könnte? Ich glaube, ich bin der Letzte, den sie im Moment sehen will.
Vielleicht hat sie einen neuen Freund und hat es dir noch nicht auf die Nase
gebunden, damit du den nicht auch noch vergraulst.“ Svea schnappte hörbar nach
Luft. „Hör zu, Svea, ruf die Polizei und lass mich in Ruhe mit deinem
Kinderkram und deinen lächerlichen Verschwörungstheorien. Du hattest schon
immer eine viel zu lebhafte Phantasie. Machs gut.“ Er hatte schon wieder
aufgelegt. Der Typ war doch echt zum Kotzen! Was hatte Pauline nur jemals an
dem gefunden?
Aber, Idiot hin, Volltrottel
her, Polizei war eine gute Idee. Sie nahm ihre Tasche und rauschte hinaus.
„Muss weg, alle Termine für heute absagen, familiärer Notfall!“, rief sie ihrer
verdutzten Sekretärin zu. Sie nahm immer zwei Stufen auf einmal, als sie, so
schnell ihre High Heels das zuließen, aus der Bank stöckelte. Ihre
Kollegen und einige Bankkunden sahen ihr kopfschüttelnd nach. Auf dem
Mitarbeiterparkplatz angekommen, sprang sie in ihren schwarzen 3er BMW und
raste los. Dabei streifte sie beinahe einen Radfahrer, der genau in dem Moment
hinter ihrem Wagen vorbeifuhr, als sie rückwärts ausparkte. „Entschuldigung!“,
rief sie aus dem Fenster. Woraufhin der Radler nur den Mittelfinger hob. Doch
das konnte Svea schon nicht mehr sehen, denn sie war bereits auf dem Weg zur
Polizei.
„Was wolle se denn noch, gude
Fraa?“ Ein grauhaariger Polizeibeamter mit dickem Bauch und breitem badischen
Dialekt hob fragend die buschigen Augenbrauen. Svea hob die Arme an und ließ
sie dann resigniert fallen. „Das habe ich doch bereits gesagt, meine Schwester
ist verschwunden. Ich möchte eine Vermisstenanzeige aufgeben oder was auch
immer man macht, wenn jemand einfach verschwindet. Jedenfalls ist sie weg,
Pauline ist weg.“
Der Beamte erhob sich aufreizend langsam und vernehmlich genervt
seufzend von seinem Drehstuhl, streckte sich kurz und machte sich dann
gemächlich auf den Weg zum Empfangstresen, hinter dem Svea stand und aufgeregt
auf und ab lief. Er taxierte sie mit müdem Blick: „Erstens heißt es nicht, Vermisstenanzeige
aufgeben; wir sind ja hier nicht bei der Post. Es heißt erstatten. Sie wollen
eine Vermisstenanzeige erstatten. Und zweitens habe ich sie bereits über die
üblichen Abläufe in so einer Situation informiert. Ihre Schwester ist
fünfunddreißig Jahre alt…“
„Sechsunddreißig. Sie ist sechsunddreißig“, warf Svea ungeduldig ein.
„… und kann gehen, wohin sie möchte“, fuhr der Beamte fort. Er ließ
sich nicht aus der Fassung bringen. Der Polizist sprach jetzt hochdeutsch und
sehr langsam, außerdem betonte er die einzelnen Silben überdeutlich. So, als
würde er einem begriffsstutzigen Kind etwas erklären. „Vielleicht hatte sie
Ehe- oder Geldprobleme oder ihre Familie ging ihr auf die Nerven…“ Hier machte
er eine Kunstpause und sah Svea vielsagend an, bevor er fortfuhr: „Was weiß
ich? Wir können jedenfalls erst dann tätig werden, wenn sie eine Gefährdung für
sich selbst oder andere darstellt. Das scheint mir hier jedoch nicht der Fall
zu sein?“
Svea
musterte den Polizisten jetzt mit unverhohlener Wut. Was musste mit einem
Menschen passieren, damit er so – wurde? Ihr fiel nicht einmal ein richtiges
Wort dafür ein. Sie schätzte, dass der Polizist kurz vor der Rente stand.
Vielleicht hatte er einfach keine Lust mehr, sich mit irgendetwas, das auch nur
im Geringsten nach
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