Blue liquid (Kommissar Pfeifers erster Fall)
mir mit der Schulter helfen. Aber bis es soweit ist, muss ich mich
wohl selbst darum kümmern. Unter großen Schmerzen und mit
zusammengebissenen Zähnen zog sich Pauline im Zeitlupentempo die Bluse aus und
band sie sich, so gut sie es mit einer Hand vermochte, als eine Art Schlinge um
den rechten Arm. Auf keinen Fall wollte sie ihn versehentlich noch einmal
bewegen. Sie schauderte bei dem Gedanken daran, welche Qualen ihr das bereitet
hatte. Nachdem das erledigt war, beschloss sie, sich in ihrem Gefängnis
umzusehen.
UmSEHEN ist gut, so dunkel
wie es hier ist . Da war sie wieder, die Stimme. Pauline kicherte
unversehens. Zuerst leise, dann schwoll ihr Kichern zu einem unheimlichen
Gelächter an, das einsam durch die unterirdischen Gänge hallte.
„Musste
das sein?“ Genervt zog der Mann seine Jacke an. „Wir wären doch jetzt sowieso
gegangen. Dann kann es dir doch egal sein, wie lange sie schreit und heult.
Dein Nervenkostüm wird verdammt dünn in letzter Zeit, alter Freund.“ Er ging
voraus und öffnete die Tür nach draußen. Vogelgezwitscher empfing die beiden
und die Sonne strahlte. Froh, der Enge des stickigen Bunkers entkommen zu sein,
sog er gierig die frische Luft in seine Lungen.
„Komm
schon, du kannst dich später sonnen!“, rief der andere Mann seinem Freund zu.
Er saß bereits im Auto.
„Spielverderber!“
Missmutig stapfte er zum Wagen. Er wäre zu gerne noch etwas hier geblieben.
Aber er sah ein, dass sie zurückmussten.
8
Montag, 10. Oktober 2011
„Peter? Hier ist Svea.“
„Was
willst du?“, erklang es nach einer kurzen Pause unfreundlich aus dem Hörer
ihres Bürotelefons.
„Kein Wunder, dass Pauline sich in dich verliebt hat! Du bist ja ein
richtiger Charmbolzen“, gab sie ironisch zurück. „Was mich zu dem Grund meines
Anrufs führt. Wo ist sie? Ich habe den ganzen Sonntag lang versucht, sie
anzurufen. Heute Morgen auch schon. Sie geht weder an ihr Handy noch an ihr
Telefon. Sie ist wohl auch nicht zur Arbeit erschienen? Ich habe gestern ihren
Wagen entdeckt. Er steht noch in meiner Tiefgarage und bis jetzt hat sie ihn
nicht abgeholt. So langsam mache ich mir wirklich Sorgen…“
„Stopp!“, rief Peter Naumann dazwischen. „Du redest mal wieder viel zu
viel. Aber das war ja schon immer dein Problem. Kannst dich nie aus den
Angelegenheiten anderer Leute raushalten, hast immer was zu sagen. Auch wenn es
manchmal besser für alle wäre, du würdest endlich mal deine Klappe halten...“
„He,
he!“, fiel Svea ihm ins Wort. „Das war der längste Satz, den ich je von dir
gehört habe…“
„Svea,
halt endlich einmal deinen Mund! Jetzt sag mir, was los ist. Wo ist
Pauline? Und wie kommst du darauf, dass ausgerechnet ich etwas über ihren
Verbleib wissen könnte? Sie hat mich verlassen, falls das deinem Gedächtnis
entwichen sein sollte, außerdem ist es erst zehn Uhr an einem Montagmorgen.
Vielleicht hat sie einen anderen Typen kennengelernt, durchgemacht und
verschlafen.“
„Oh, mein Gedächtnis funktioniert einwandfrei und hat alles gespeichert,
keine Sorge. Apropos, wie geht’s übrigens der hirnlosen Schlampe, mit der du
gevögelt hast, während meine Schwester im Krankenhaus lag?“ Es klickte
verräterisch. Das miese, feige Schwein hat einfach aufgelegt. Erst betrügt
er meine Schwester und dann interessiert es ihn einen feuchten Dreck, was aus
ihr wird . Svea war so zornig, sie hätte platzen mögen vor Wut. Am liebsten
würde sie irgendetwas gegen die Wand werfen, doch die Wände in den Büros der
Bank waren dünn und sie hatte keine Lust, sich vor irgendjemandem rechtfertigen
zu müssen. Obwohl, verlockend wäre es schon…
Während
Svea noch grübelte, ob sie jetzt lieber die Kaffeetasse oder den Locher werfen
sollte, klingelte ihr Telefon. Ihre Sekretärin Claudia ließ sie wissen, dass
ein gewisser Dr. Naumann dran war und fragte, ob sie zu sprechen sei. Svea
seufzte tief: „Ja, stell ihn durch.“ Sie wusste, es würde sie einige Mühe
kosten, nicht abermals ausfällig zu werden. Svea war immer stolz darauf
gewesen, auch in den unmöglichsten Situationen die Contenance zu wahren. Der
Einzige, bei dem das irgendwie nie zu klappen schien, wartete gerade darauf,
dass sie den Hörer abnahm.
„Ach
nee, der verlorene Sohn kehrt heim“, stichelte sie, kaum dass er durchgestellt
wurde.
„Na,
da konntest du dich aber nicht lange beherrschen, was?! Hör endlich auf damit“,
schnauzte Peter sie an. „Sag mir lieber, was mit deiner Schwester ist.
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