Blue liquid (Kommissar Pfeifers erster Fall)
arbeite eben effektiv. Also, passen Sie auf. Mein Kollege hat sich die
vorliegenden Notizen angesehen. Es handelt es sich seiner Meinung nach um eine
intermittierende explosive Störung, die sogenannte Wutanfallerkrankung. Das
fällt in den Bereich der Impulskontrollstörungen. Es treten aggressive
Kontrollverluste auf, die Angriffe auf Personen zur Folge haben können. Es ist
auch nicht auszuschließen, dass dabei jemand zu Tode kommt. Die Betroffenen
fühlen sich hinterher schuldig, aber während des Anfalls können sie sich nicht
dazu bringen, aufzuhören. Allerdings hält er es für unwahrscheinlich, dass
Thierry in diesem Fall der Täter ist. Thiopental zu besorgen, es jemandem zu
spritzen und ihn dann auch noch zur Dreisam zu schleppen fällt seiner Meinung
nach eher unter Vorsatz und Planung. Diese Wutanfälle setzen plötzlich ein und
hören genauso plötzlich wieder auf. Eine lange Planungsphase ist
ausgeschlossen.“
Beate
legte auf. Fast bedauernd sagte sie: „Thierry Leclerc kommt also als Täter
nicht infrage.“
36
Tom verließ Freiburg in Richtung Konstanz. Er folgte der L127 eine
Weile, bis er die Autobahn A81 erreicht hatte. Diese, so wusste er, würde ihn
an den Bodensee führen.
Sobald
er sich auf der Landstraße befand, legte er den Kopf in den Nacken und lachte
erleichtert auf. Er hatte es geschafft. Je weiter er sich von Freiburg
entfernte, desto geringer wurde die Gefahr, erkannt zu werden. Es würde eine
europaweite Fahndung eingeleitet werden, vielleicht sogar international mit
Interpol. Deshalb durfte er sich nicht zu früh in Sicherheit wähnen. Er wollte
so schnell wie möglich in sein Konstanzer Hotel, um sich seiner Verwandlung in
den Versicherungskaufmann Noel Biedermann zu widmen.
Auf
SWR 3 spielten sie gerade das Intro von ACDC´s „Thunderstruck“ an, seinem
absoluten Lieblingssong. Er nahm die Hände vom Lenkrad, um die E-Gitarre von
Angus Young zu imitieren. Sein Kopf nickte dazu im Takt. Das Lenken übernahmen
in der Zwischenzeit seine Oberschenkel. Geradezu euphorisch grölte er mit. Er
wurde getragen von den rockigen Klängen der Bässe und des Schlagzeugs.
Aber
nach drei Minuten war das Lied zu Ende und er befand sich wieder auf der L127,
auf der Flucht vor seinen Kollegen. Und das bedeutete volle Konzentration. Er
achtete peinlichst genau darauf, nicht schneller als 10 km/h über der
Geschwindigkeitsbegrenzung zu fahren. Allerdings durfte er sich auch nicht zu
akribisch daran halten, denn sonst würden eventuell hier patrouillierende
Kollegen misstrauisch werden. Wer zu langsam fuhr, das wusste er noch aus
seiner eigenen Streifendienstzeit, hatte etwas zu verbergen. Meistens war es zu
viel Alkohohl und eine Kontrolle wollte er heute in jedem Fall vermeiden.
Auf
einmal wurde Toms Grinsen breiter. Ihm war gerade eine Geschichte aus seiner
Ausbildungszeit eingefallen. Er und Frank waren eines Nachts auf Streife
gewesen und wollten einen Wagen anhalten, der verdächtig langsam durch die
Innenstadt schlich.
Tom
und Frank waren dem Auto eine ganze Weile lang gefolgt, bis sie schließlich
doch beschlossen hatten, es anzuhalten. Frank hatte die Kelle aus dem
Autofenster gehalten, um den Fahrer zum Anhalten zu bewegen. Zumindest hatte
Tom das angenommen, bis Frank ihn plötzlich angeschrien hatte, er solle Gas
geben und weiterfahren. Tom war so erschrocken gewesen, dass er prompt gehorcht
hatte. Seine Phantasie war mit ihm durchgegangen. Vor seinem inneren Auge
hatten sich alle möglichen Schreckensszenarien abgespielt, ja, ganze
Horrorfilme waren in der kurzen Zeit abgelaufen. Einer davon war, dass der
Fahrer des anderen Wagens eine Waffe gezogen hatte und auf sie zu schießen
drohte. Schnell war er um die Ecke gebogen und auf einen McDonalds-Parkplatz
gefahren. Als er sich Frank schließlich zugewandt hatte, war der krebsrot im
Gesicht gewesen und hatte geprustet vor Lachen. Unter Lachsalven hatte er
mühsam berichtet, dass ihm vor lauter Aufregung die Kelle aus dem Fenster
gefallen war.
Tom
hatte seinen Freund eine Sekunde lang verblüfft angestarrt und dann hatten
beide vor Lachen gebrüllt. Eine Viertelstunde später hatten sie sich soweit
beruhigt, dass sie todesmutig zurückgefahren waren, um die Kelle zu bergen.
Keiner von beiden hatte je wieder ein Wort darüber verloren. Das war damals der
Beginn einer echten Freundschaft gewesen.
Schade, dass er Frank umlegen
musste. Er zuckte mit den Schultern. Frank war selbst schuld, er hatte es
versaut. Tom hatte nur
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