Blue
wusste, dass sich kein atmendes Lebewesen im Haus befand, konnte sie nicht anders. Die Ruhe im Gebäude war wie ein Flüstern .
Im dritten Stock musste sie sich etwas ausruhen. Ihre Kondition war total i m Arsch. Daran würde sie noch arbeiten müssen. Sie suchte die Tür zum Chefbüro. Am anderen Ende des Korridors wurde sie fündig. Der Raum war lächerlich groß und hypermodern eingerichtet. Der Schreibtisch stand mit dem Rücken zu einer riesigen Fensterfront. Rechts davon befand sich eine Wand mit vier massiven Aktenschränken und daneben prangte das mann s hohe Gemälde eines adlig anmutenden Mann es . Das Antlitz blickte auf sie herab, als wollte er sagen: „Du hast hier nichts verloren. Geh dahin zurück, von wo du hergekommen bist.“ Die mittelalterliche Kleidung schien diesen Ausdruck zu verstärken. In der linken Ecke des Büros stand ein Konferen z tisch mit sechs gepolsterten Stühlen.
Blue setzte sich an den Computer. Während er hochfuhr , durchsuchte sie die Schubladen des Schreibtischs . Dort stieß sie auf eine Stofftasche und, unglaublich aber wahr, auf das Computerpasswort. Wie blöd konnte jemand sein, wenn er das Passwort aufschrieb und den Zettel im obersten Schubfach deponierte?
Inzwischen war das Computersystem hochgefahren und auf dem Bil d schirm tauchte das Fenster mit der Eingabeaufforderung für das Passwort auf. Als sie Zugang zu den Datenbanken hatte, klickte sie sich willkürlich durch die Dateien. Sie war auf der Suche nach Kontakten und Berichten des Labors. Als sie das elektronische Adressbuch durchblätterte, ließ ein Name sie erstarren. Igor Delcours . Igor von den Outlaws. Igor verkaufte das G e heimnis seines Volks für gutes Geld. Kurzerhand lud sie das komplette A d ressbuch sowie die Forschungsberichte auf einen Speicherstick, den sie mi t gebracht hatte.
Danach nahm sie sich die Aktenschränke vor . Der vierte Kasten war mit Objekte beschriftet. Hatte Folterknecht Roth sie nicht auch so genannt? Wahllos nahm sie eine der nummerierten Aktenmappen heraus und warf einen Blick hinein. Sie stieß auf abstoßende Fotos eines schlimm zugericht e ten Körpers einer jungen Vampirin. Laut der Akte lag ihre Entführung zwei Jahre zurück. Wenn sie bereits vor zwei Jahren in die Fänge von Lemniskate geraten war, weshalb wurde Boss nicht über ihr V erschwinden informiert? Warum hatten sie erst vo r ein paar Monaten davon erfahren? Was war mit all den anderen Fällen?
Ratlos schob sie die Unterlagen zurück. Aus einem inneren Antrieb heraus zog sie die erste und die letzte Akte der Reihe heraus. Volltreffer. I hre eigene Akte. Die Fotos waren wie ein Schlag in die Magengrube. Unfähig alles zu lesen, wollte sie sie wieder zuklappen, als ihr Blick auf eine rote Notiz am Rand der ersten Seite fiel.
Datum des Todes: 25. 01.11
Sie war tot . Noch einmal zog sie eine x-beliebige Akte heraus und warf e i nen Blick auf die erste Seite. Diese Person war ebenfalls tot. Zumindest , wenn man nach der Akte ging. Akte um Akte wurde halb herausgezogen. Ein Teil hatte die Notiz, ein anderer nicht. Hieß das, dass es noch lebende Vampire in Gefangenschaft gab?
Zu guter L etzt öffnete Blue die Dokumentenmappe, die am Anfang der Reihe hing . Die Fotos sahen ebenfalls grauenvoll aus. Das Gesicht des männlichen Opfers kam ihr erschreckend bekannt vor. Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Es handelte sich um Leander, ihren Vater. Mit zittrigen Händen blätterte sie weiter. Verzweifelt suchte sie nach der roten Notiz. Es gab keine. Laut den Aufzeichnungen wurden die ersten Tests vor vier Jahren an ihm vorgenommen. Wie um alles in der Welt konnte er so etwas überleben?
Plötzlich hörte sie das leise, aber regelmäßige Schlagen eines menschlichen Herzens. Jemand hatte das Gebäude betreten. Hastig kramte sie die Akte ihres Vaters und ihre eigene zusammen und zog willkürlich sechs weitere heraus. Dann schob sie die Schublade zu und eilte zum PC. Der Download war beendet. Mit ein paar Klicks fuhr sie den Rechner herunter und zog den Stick aus der Schnittstelle. Blue nahm die Stofftasche, die sie in der Schubl a de entdeckt hatte. Sie war gro ß genug , um die acht Akten darin zu transpo r tieren. Den Stick schob sie in die Hosentasche.
Sie wollte das Büro verlassen, als ein Mann vor der Tür anhielt und Ansta l ten machte, d en Raum zu betreten. Mit angehaltenem Atem und rasendem Herzen konnte sie sich gerade noch rechtzeitig hinter der Tür in den Scha t ten verdrücken, bevor
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