Bluescreen
geklautem Material nichts gäbe. Mit Sätzen wie »Alles, was es bei YouTube gibt«, sollte man ohnehin vorsichtig sein – denn es gibt immer noch viel mehr. Irgendjemand wirft die Worte »kackende Hunde« in die Runde, und wenn man dann diese Begriffe in die Suchmaske tippt, stößt man tatsächlich auf Filme mit kackenden Hunden: Hunde, die auf Eisflächen kacken, auf den Bürgersteig, im Park. Lässt man sich jedoch auf die »natürliche« Weise durch YouTube treiben, in dem man sich von einem Link zum nächsten klickt, so konzentrieren sich die Fundstücke doch auf folgende Kategorien: kurze Stücke von Gesprächen vor der Kamera, Tanz, Gesang, Profis und Laien, die Instrumente spielen, außerdem Skateboard-Fahren, Auto- und Motorradunfälle, die zufällig gefilmt wurden, die jeweils nur sehr kurzfristig »lustigsten Homevideos Amerikas«, Peinlichkeiten und Missgeschicke. (Und dann gibt es danoch diese Clips, die auf ganz besonders merkwürdige Weise ihre Wirkung entfalten: Videomaterial, dessen ursprüngliche Tonspur durch irgendeinen Soundtrack ersetzt wurde. Automessen, zum Beispiel: ein schwerer Mustang mit offener Motorhaube neben dem anderen, die Bilder unterlegt mit Heavy Metal. Die Musik, die so gut zur Stimmung dieser V8-Motoren passt, ist derart düster, dass man gar nicht bemerkt, dass die Autos am helllichten Tag gefilmt wurden und dass daneben glückliche Menschen auf Gartenstühlen zu sehen sind, die Pool Ball spielen oder grillen.
Unsere Ausgangstheoreme lauten also: Talent = YouTube; Talent + Musik = YouTube; praktisch alles + Musik = YouTube. Dabei kommen immer interessante Ergebnisse heraus, die es sich anzuschauen lohnt. Man kann das neue Medium allerdings noch auf eine andere Weise in eine Gleichung packen: Internetvideo als Format – Pornografie = YouTube.
In einem gewissen Sinn wurde YouTube nur möglich durch den grundsätzlichen Ausschluss von Pornografie in jedweder Form, es verdankt seine Geburt also einem rigorosen und bisweilen sogar ziemlich rücksichtslosen Überwachungssystem. Pornografie gilt in den meisten Kunstgattungen – also im Film, in der Literatur usw. – als untergeordnetes Genre. Das Internet musste jedoch zunächst einmal mit Pornografie gesättigt sein, ja regelrecht in Pornografie schwimmen, bevor so etwas wie YouTube dort überhaupt entstehen konnte. Während der kurzen Zeit, in der es das Internet jetzt gibt, waren nahezu alle nicht professionellen Filme im Netz Sexvideos.
Vielleicht können Sie aus Ihrer Computererinnerung noch das folgende Bild hervorkramen: ein kleines Fenster auf einem jener alten Kathodenstrahlröhrenbildschirme, in dem »Amateure« grobkörnig vor sich hin rammeln. Als man derlei gegen Ende des 20. Jahrhunderts zum ersten Mal sah, konnte man noch nicht wissen, dass man es mit einem bedeutenden neuen Videogenre zu tun hatte. Insbesondere weil dieses krude Format, historisch betrachtet, auf den ersten Blick so sehr nach alten pornografischen Nickelodeons aussah und nach frühen Pornos. Außerdem tauchten die Filmchen oft neben professionellen Pornos auf den entsprechenden Websites auf. Aber rasch erwies sich dieses »nicht professionelle«, ganz offensichtlich selbst produzierte und eigenhändig hochgeladene Format als das eigentliche Genre der Zukunft. Daran änderte sich auch nichts, als die ersten auf geradezu unheimliche Weise professionellen Ausbeuter auf den Plan traten, die angesichts der riesigen Exhibitionismus-Vorkommen, die unmittelbar unter der Oberfläche des Anstands zu lagern schienen und nun wie eine Ölfontäne ans Tageslicht sprudelten, dazu übergingen, »Amateure« (die Grenzen begannen allmählich zu verwischen) zu filmen oder ihre Filme in Umlauf zu bringen.
Die längst klassische Erklärung für den Erfolg der Internetpornos lautet, dass das Netz hier ein neues, privates, solitäres und visuelles Medium von intimer Größe zur Verfügung stellte und dass dieses in erster Linie all die Menschen anzog, die eine solche Quelle der Erregung für eine besonders einsame und intime Aktivität gut gebrauchen konnten: Masturbation. Die Situation war von einem merkwürdigen Isomorphismus gekennzeichnet: Man tippte etwas auf einer Tastatur, eventuell sogar auf einemLaptop, und hatte den Eindruck, das Objekt der Begierde selbst in Händen (oder gar auf dem Schoß) zu halten. Nackte und Rammelnde waren ganz leicht zu finden, man konnte sie anschauen, schnell verstecken und jederzeit wieder auf den Bildschirm
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