Blüte der Tage: Roman (German Edition)
Weise auch immer.
Als es ihm gelang, seinen Mund zu lösen und einen Schritt zurückzutreten, bemerkte er ihre geröteten Wangen. Ihre Augen wurden dadurch noch blauer, größer. Am liebsten hätte er sich die Frau über die Schulter geworfen und irgendwohin geschleppt, wo sie beenden könnten, was sie mit diesem Kuss in Gang gesetzt hatten. Da dieser Wunsch nahezu übermächtig war, trat er noch einen Schritt zurück.
»Okay.« Er hoffte, lässig zu klingen, war sich dessen aber nicht sicher, da ihm das Blut in den Ohren rauschte. »Bis demnächst.«
Er ging zum Wagen, stieg ein. Schaffte es, den Motor anzulassen und den Rückwärtsgang einzulegen. Von der Sonne geblendet, trat er auf die Bremse.
Reglos saß er da und beobachtete, wie Stella die Sonnenbrille aufhob, die von der Motorhaube gefallen war. Sie kam an die Fahrerseite, und er kurbelte das Fenster herunter.
Ihr in die Augen blickend, streckte er die Hand nach der Brille aus. »Danke.«
Er setzte die Sonnenbrille auf, wendete und fuhr los.
Sobald er außer Sicht war, stieß sie einen langen, bebenden Seufzer aus, atmete tief ein und dann langsam wieder aus, während sie sich mit weichen Knien zum Eingang schleppte.
Sie schaffte es gerade noch bis zu den Stufen. »Heilige Mutter Gottes!«, murmelte sie.
Selbst als ein Kunde herauskam und ein anderer hineinging, blieb sie auf den Stufen sitzen und versuchte, ihrem inneren Aufruhr irgendwie Herr zu werden. Sie fühlte sich, als sei sie von einer Klippe gestürzt und würde sich nun langsam an den Steinen wieder hochhangeln.
Was sollte sie nun tun? Und wie sollte sie das herausfinden, wenn sie keinen klaren Gedanken fassen konnte?
Sie beschloss, diese Überlegungen auf später zu vertagen. Energisch stand sie auf und rieb ihre feuchten Handflächen an den Hosenbeinen ab. Jetzt würde sie erst mal an die Arbeit zurückkehren, danach eine Pizza bestellen
und nach Hause zu ihren Söhnen gehen. Zurück in die Normalität.
Genau das war es, was sie brauchte: Normalität.
ZEHNTES KAPITEL
Harper gab etwas Erde auf die Clematis, die sich an dem eisernen Spalier emporrankte. In diesem Teil des Grundstücks war es völlig still. Die Sträucher und Zierbäume, Wege und Beete trennten das so genannte Gästehaus vom restlichen Anwesen ab.
Gerade begannen die Narzissen zu blühen, reckten ihre leuchtend gelben Blütenkelche in das junge Grün. Als Nächstes würden die Tulpen kommen, zu Beginn des Frühlings seine Lieblingsblumen. Deshalb hatte er direkt vor seiner Küchentür ein Beet mit Tulpenzwiebeln angelegt.
Das Gästehaus war ein kleines, umgebautes ehemaliges Kutschhaus und laut den Frauen, die er bisher zu sich eingeladen hatte, »ganz entzückend und bezaubernd«. Auch der Ausdruck »Puppenhaus« wurde gern verwendet. Ihm war das egal, wiewohl er sein Haus mit den weiß gekalkten Zedernplanken und dem überhängenden Dach eher als Cottage bezeichnen würde. Es war gemütlich und wohnlich und für seine Ansprüche mehr als ausreichend. Er hatte sich sogar daneben ein kleines Gewächshaus gebaut, wo er ungestört experimentieren konnte.
Das Cottage war gerade weit genug vom Haupthaus
entfernt, um ihm eine Privatsphäre zu bieten – was er insbesondere dann zu schätzen wusste, wenn gelegentlich mal eine Frau über Nacht blieb. Gleichzeitig war es nah genug, um binnen weniger Minuten am Haupthaus zu sein, falls seine Mutter ihn brauchte.
Es gefiel ihm nicht, dass seine Mutter allein wohnte, obwohl sie ja zum Glück noch David hatte. Sicher, sie war eine selbstständige und willensstarke Person, aber ihm war einfach nicht wohl bei der Vorstellung, wie sie nachts allein durch dieses riesige alte Gemäuer streifte.
Andererseits war das weitaus besser, als weiterhin mit diesem Arschloch von Bryce, ihrem zweiten Ehemann, zusammen zu sein. Harper fand gar keine Worte, um auszudrücken, wie sehr er Bryce Clerk verabscheute. Die Tatsache, dass seine Mutter überhaupt auf diesen Typ reingefallen war, bewies, dass auch sie nicht unfehlbar war, aber für jemanden, der kaum Fehler machte, war das ein Riesenausrutscher gewesen.
Sie hatte ihn schon nach kurzer Zeit gnadenlos vor die Tür gesetzt, aber Harper hatte von Anfang an bezweifelt, dass der Kerl freiwillig auf Roz, das Haus und das Geld verzichten würde.
Und tatsächlich hatte Bryce eine Woche vor der Scheidung versucht, in das Haus einzubrechen. Bestimmt wäre Roz auch allein mit ihm fertig geworden, dennoch war Harper froh, dass er damals zur
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