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Blüten, Koks und blaues Blut

Blüten, Koks und blaues Blut

Titel: Blüten, Koks und blaues Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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im Knast fallen die Schranken. Derselbe Becher Wasser,
dieselbe Anschnauzerei von den Wärtern... Aber draußen sieht dann wieder alles
anders aus! Tja, die Solidarität in der Zelle...“
    Er hätte noch lange so rumgeschwafelt, wenn ich
seinem Gequatsche kein Ende gesetzt hätte. Ich stand auf und riet ihm, ein Buch
über soziale Schranken zu schreiben. Mir wurde klar, daß ich hier meine Zeit
vertrödelte. Bei diesem Tempo würde ich ein halbes Jahr brauchen, um das Rätsel
des gräflichen Selbstmords zu lösen.
    „Sollte ich Sie mal brauchen, Frédo, finde ich
Sie hier im Café, ja?“ fragte ich.
    „Der Kontakt mit den Flics hat mir gereicht“,
murmelte er. „Werd mich erst mal ‘ne Weile nicht blicken lassen. In meiner
Behausung liegt ‘n ganzer Stapel alter Zeitungen, die werd ich lesen...“
    „Prima Idee“, stimmte ich ihm zu. „Lesen bildet.“
    Er gab mir seine Adresse, und ich verließ das
Café.
     
    Ich hielt Ausschau nach einem Stadtplan.
Schließlich entdeckte ich einen in einem Schaukasten. Er war von der Sonne ganz
ausgebleicht, aber noch lesbar. Ich wollte einen Mann besuchen, der ganz oben
auf der Liste mit den Bekannten des Grafen stand: Charles Maurin,
Gartenbauunternehmer. Sein Name prangte an jeder Straßenecke auf riesigen
Werbeplakaten.
    Aber der Charles Maurin, mit dem ich sprechen
wollte, war nicht der Unternehmer persönlich, sondern sein Sohn. Er bewohnte
ein luxuriöses Appartement, deren Wände mit Bildern vollgehängt waren. Alles
Werke des Hausherrn. Sie machten eine Überquerung des Ärmelkanals überflüssig.
Die entsprechende Seekrankheit konnte man sich auch hier beim Anblick der
Gemälde holen.
    Charles Maurin jun. war ein leichtsinniger
junger Mann, der das Glück gehabt hatte, daß sein Vater vor ihm geboren war.
Trotz seines gepflegten Äußeren stank er, als hätte er sich seit Wochen nicht
mehr gewaschen... vor lauter Faulheit! Dabei hatte er intelligente Augen und
war gar nicht so unsympathisch. Doch Leuten dieses Schlages ziehe ich alle
Frédos der Welt vor.
    Unser Gespräch war eher enttäuschend. Fabrègues
war für ihn weniger ein Freund denn eine Café-Bekanntschaft. Sicher, er sei hin
und wieder bei ihm zu Gast gewesen, doch von einer engen Freundschaft könne
keine Rede sein. Tja, und der Selbstmord... Nichts habe darauf schließen
lassen, daß Pierre an so etwas gedacht habe...
    Ich wollte mich schon verabschieden, als an der
Wohnungstür geläutet wurde. Charles Maurin öffnete einer jungen Frau, deren
Erscheinung mich umhaute.
    Sollte ein Künstler jemals auf die Idee kommen,
den personifizierten Sex-Appeal darzustellen, empfehle ich ihm Raymonde
Saint-Cernin als Modell!
    Mittelgroß, wohlproportioniert und geschmackvoll
gekleidet, ausdrucksvolle Augen mit einem sonderbaren Glanz, gleichzeitig hell
und samten; eine feine Nase, sinnliche Lippen und blauschwarze Haare. Das
leichte Sommerkleid in den lebendigen Farben ließ einen sensationellen Körper
erahnen, was durch die noch viel sensationelleren Beine unterstrichen wurde.
Nur eine Kleinigkeit störte mich: Der blutrote Lack ihrer Fingernägel blätterte
ab.
    Die junge Frau war sehr lebhaft und redselig.
Als sie dem jungen Mann die Hand gab, fragte ich mich, wie man in eine so
alltägliche Geste soviel Herausforderung legen konnte. Bewundernswert! Ohne
Zögern reihte ich sie in die Kategorie der Frauen ein, die einen Mann wie mich
sofort überzeugen.
    „Ich darf Ihnen Monsieur Burma vorstellen,
Raymonde“, sagte Maurin zu ihr. „Er stammt aus Ihrer Heimat. Paris! Hat nicht
diesen verflixten Akzent, den ich mir leider nicht abgewöhnen kann“, seufzte
er.
    „Aber, Charles“, hauchte sie, „Ihr Akzent steht
Ihnen vorzüglich!“ Und zu mir gewandt: „Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu
machen, Monsieur Burma.“
    „Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite“,
erwiderte ich, indem ich mich leicht verbeugte. Und das war wirklich nicht
gelogen! Um so weniger, da ihre zarte Hand in meiner lag. „...ganz auf meiner
Seite“, widerholte ich, „Madame…?“
    „Ach ja!“ rief Charles und schlug sich mit der
flachen Hand gegen die Stirn. „Das habe ich ganz vergessen: Raymonde
Saint-Cernin.“
    „Ihren Namen habe ich schon irgendwo gehört“,
sagte ich etwas zu laut.
    „Kein Wunder! Wer hat noch nicht von der
bekannten Schriftstellerin gehört?“ fragte der junge Mann rhetorisch.
    Mir wurde ein wenig unbehaglich, da ich keines
ihrer Bücher gelesen hatte. Glücklicherweise brachte sie das

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