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Blütenrausch (German Edition)

Blütenrausch (German Edition)

Titel: Blütenrausch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mila Herbst
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Jetzt galt es, aus Natalies Blicken oder ihrer Körperhaltung etwas herauszulesen. Auf dieser Weise konnte sie mir möglicherweise etwas über einen oder mehrere Gäste mitteilen.
    Neunhundert dreiundzwanzig Bilder, die ich mir schon einmal angeschaut hatte. Und die ich jetzt noch einmal aus einem anderen Blickwinkel unter die Lupe nehmen wollte. Die Flasche Rotwein stand schon bereit. Spitzi rannte wieder herum. Ich klickte auf Miniaturansicht und wartete darauf, dass die Fotos sich öffneten. Um schneller arbeiten zu können, scrollte ich mit der Maus und schob alle Fotos, auf denen Natalie abgebildet war, in einen extra dafür angelegten Ordner. Als ich fertig war, stellte ich zu meinem Leidwesen fest, dass es jede Menge waren.
    K eine so schlaue Idee.
    Bevor ich richtig mit der Arbeit anfing, schenkte ich mir ein Glas Wein ein, trank schon mal einen Schluck und stellte die Flasche in Reichweite. Ich hatte das Gefühl, dass dies eine lange Nacht werden würde.
     
    Irgendwann fielen mir meine Augen zu. Als ich ein paar Stunden später aufwachte, wurde mir bewusst, dass ich während der gesamten Zeit, in der ich auf der Suche nach einem Hinweis auf den Bildern war, die ganze Flasche Rotwein leer getrunken hatte. Kein Wunder also, dass ich auf dem Tisch zusammengeklappt war.
    Mein Hals schmerzte. Um die Verkrampfung zu lösen, machte ich ein paar leichte Kopfbewegungen und streckte meine verspannten Glieder. Der Rechner lief noch. Großmutters Uhr, die auf dem Regal neben meinem Tisch stand, zeigte 3:50 Uhr.
    Höchste Zeit, meinen müden Körper ins Bett zu schleppen .
    Die Recherche nach irgendeinem brauchbar en Hinweis auf den Bildern war nicht so erfolgreich, wie ich es mir erhofft hatte. Ich kam zwar zu ein paar Erkenntnisse und Fragen hingen in der Luft, aber ich wusste nicht, inwiefern sie von Bedeutung waren.
    Die typisch g estellten Hochzeitsfotos, auf denen die Brautleute für die Ewigkeit sich so abbilden lassen, wie sie es vermutlich nie wieder tun werden, hatte ich schnell aussortiert: vor Glück strahlend an einen Baum gelehnt, auf der Wiese sitzend oder neben einem Brunnen. Und immer lächelnd oder sich küssend. Diese Bilder konnten mir nichts Wichtiges mitteilten, da Natalie und ihr Mann so posierten, wie es der Fotograf verlangte.
    Blieben ungefähr vierhundert Reportagefotos, auf denen Natalie verewigt wurde. Sorgfältig ging ich jede Abbildung durch. Markus hatte das komplette Paket in Auftrag bekommen, er begleitete also die Brautleute bei ihren Vorbereitungen am Hochzeitstag von Anfang an. Er hatte ‒ wie ich es von ihm nicht anders erwartete ‒ tolle Schnappschüsse gemacht: Natalie gähnend, während die Hairstylistin an ihrer Frisur arbeitete; Natalie mit erschrecktem Blick, als sie sah, wie die Kosmetikerin ihre Lippen zu dunkel angemalt hatte, oder die Aufregung, als ihre Mutter eine Tasse Kaffee in der Nähe des Kleides umkippte. Er hatte aber auch alle anderen schönen und rührenden Momente eingefangen: Wie sie ein paar Tränen vergoss, als sie sich fertig am Spiegel betrachtete; wie ihre Mutter sie im Zimmer umarmte oder ihr Bruder sie mit feuchten Augen ansah.
    Und dann kamen die Bilder, auf denen festgehalten wurde, wie Natalie zum Altar schritt. Ich vergrößerte jedes Bild und analysierte dabei Natalies Ausdruck. Aber sie verriet nichts als Glückseligkeit. Sie schaute immer gerade aus, in Behrings Richtung. Auch keiner der Gäste schien ihr einen bösen Blick hinterher zu werfen. Allerdings konnte man in dieser Hinsicht auch nicht viel erspähen, denn auf den meisten Bildern sah man sie nur von Weitem oder etwas verschwommen, da der Fotograf mit der Kamera hauptsächlich die Braut fokussierte.
    Am Altar strahlte Natalie immer noch und schaute ihren Mann verliebt an. Nur auf einem der Bilder machte sie eine ernste Miene. Ihre Mundwinkel verzogen sich leicht nach unten. Sie blickte zu ihm, diesmal leuchteten ihre Augen aber nicht. Sie drückten Nervosität, Unsicherheit oder gar Nachdenklichkeit aus. Ich vermutete, dass der Theologe gerade die wichtigste aller Fragen gestellt hatte.
    Aber warum zögerte sie? Zögerte sie überhaupt?
    Nachdem ich erneut einen Ordner anlegte, diesmal mit der Überschrift "Verdächtig", markierte ich das Bild, schob es in dem Ordner und zog weiter mit der Maus.
    Bei den Gratulationsbildern, auf denen alle Gäste nach und nach Natalie beglückwünschten, schien alles normal zu sein. Freudige Gesichter, Umarmungen, Küsse. Aber dann kam doch noch was:

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