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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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Tür des Arbeitszimmers.
    Reni klopfte an und öffnete die Tür. Der Vater rauchte eine Zigarette.
    »Kommen Sie herein, Fräulein Knesebeck. Renate, wenn du bitte draußen wartest. Schau ein bisschen nach Mistral, er wird sich freuen.«
    »Ja, Papa!« Sie suchte einen letzten Blick mit der Erzieherin. Dann drehte sie sich um und schloss die Zimmertür.
     
    Mistral, so hieß das Pony, mit dem ihr Vater sie überrascht hatte. Es war rötlich und braun gefleckt, hatte ulkig kurze Beine und einen ziemlich großen Kopf. Und es sei gutmütig, anschmiegsam und sehr gelehrig, hatte der Vater erklärt. Die schönen großen Augen! Wenn Reni sich hinhockte und eine Wange an den Bauch legte, floss die Wärme in die Haut. Sie legte ihre Arme um den Ponyhals, Mistral ließ es sich gern gefallen. Mistral, so hatte der Vater ihr erklärt, hieß ein starker, warmer Wind im Süden Frankreichs.
    Das Pony lebte mit zwei Dülmener Wildpferden, den Schleswiger Zugtieren und den herrlichen Zuchttieren in großen Boxen im sogenannten Winterstall. Während der Sommerstall aus leichtem Holz gebaut war, war der Winterstall eine alte Ziegelremise mit stark zugesponnenen Glasfenstern und einem doppelten Dachboden.
    Der Hof von Gut Haardt verfügte über ausgedehnte Stallungen, in denen Milchvieh, Rinder und ein Dutzend Schafe standen. Die meisten Hühner liefen frei herum, die Gänse
blieben hinter Zäunen. Die Pferdezucht war die Liebhaberei des Grafen, wurde aber hauptsächlich von einem angestellten Züchter betrieben, der drei angestellte Knechte zur Verfügung hatte, die in der Landwirtschaft nur halfen, wenn Ernte war. Ihnen half Reni von Herzen, reinigte die Boxen, mischte Futter und hatte sogar schon bei kleineren Reparaturarbeiten mitgemacht. Sie war geschickt im Nägelziehen oder Hämmern. Dort in den Ställen war sie auch das erste Mal mit jenem ungewohnten Titel angesprochen worden: Komtesse Renate. Die Männer siezten sie, das war ihr beinah peinlich. Fräulein Dohm tat es auch, aber sie spreizte sich dabei, Reni spürte es.
    Das Fahrradfahren machte Reni große Freude. Sie hatte das Gerät an der hintersten Wand eines Schuppens entdeckt und auf den Hof geschoben. Es war verstaubt gewesen, rostig, beide Reifen waren platt, die Kette hing zu Boden. Mit etwas Hilfe hatte Reni alles repariert. Das Fahrrad glänzte wieder, wenn auch nicht überall. Als sie die erste Runde durch das Tor und auf den Hof zurück geradelt war, hatten die Knechte voller Lob geklatscht. Sie wusste nicht, was ihr in Zukunft mehr lieb sein würde, das Radeln durch die Felder oder das Reiten, das in Aussicht stand. Das Fahren kam ihr vor wie Fliegen: als flöge sie wie Jockel in den Wolken. Der Löwenzahn am Wegesrand erschien ihr spielzeugklein und hundert Meter tief, wie Palmen, wie Bananenbäume an den Ufern des Ogowe-Stroms. Sie entdeckte Negerkinder aus der Luft, klein wie Käfer, ihre Hütten waren braune Streichholzdosen. Die Pfütze vor der Pferdetränke war ein See am Fuße hoher Berge. Wenn sie radelte, flog sie über die Erde.
    Reni betrat den Pferdestall.
    Das warme Malmen in den Mäulern liebte sie besonders.
Sie atmete den rauen Duft der Tiere, ging in Mistrals Box und strich ihm über die große, weiche Nase. Das Pony nickte leicht und wischte mit dem Schweif. Seine Muskeln spielten unterm Fell: wie Stoff mit Gold durchwoben. Für einen Märchenkönig, dachte Reni und flüsterte das Wort. Mistral stieß seine Nase in die Mädchenhand und pustete, als hätte er verstanden.
    »Sag mir, mein Schatz, soll ich Jockel besuchen? … Was meinst du? Mein Vater wäre böse, wenn ich es täte? … Ja, das kann natürlich sein … Aber Jockel ist doch krank und benötigt Hilfe. Ich kann Papa sagen, dass ich nach Haus Ulmengrund fahre, und in Wahrheit fahre ich nach Fulda. Der Vater soll es gar nicht wissen, Fräulein Knesebeck hat recht. Er würde sich bloß Sorgen machen.« Sie streichelte die Stirn des Ponys. Eine Schauerwelle lief durch das Fell und endete am Bauch. Sie drückte ihr Gesicht an die große, braune, warme Wange.
    »Komtesse Renate!«
    Sie fuhr herum. Einer der Knechte stand im Boxengang, sie sah nur seinen Umriss.
    »Ihr Vater sucht Sie.«
    »Schon?« Im selben Moment hörte sie das Knattern des Gespanns. Sie rannte los und stolperte beinah. Draußen rief sie ihrem Vater zu: »Fräulein Knesebeck hat mir nicht Auf Wiedersehen gesagt! Ich wollte ihr die Pferde zeigen.«
    »Es tut mir leid, Renate. Sie hatte keine Zeit. Oder ihr

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