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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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in der sich kein hässlicher Kühler befand, weil der Motor hinten war. »Nicht wirklich teuer, aber sportlich, kein Altherrenautomobil«, erklärte der Vater. »Hätte ich vor einem Jahr in die Zukunft sehen können, wäre es kein Zweitürer geworden.«
    Der Fahrer ließ den Papa zuerst einsteigen. Er nahm im Fond Platz und lehnte sich bequem zurück. Reni durfte vorne sitzen, neben dem Chauffeur. Er ließ den Motor an, sie rollten los, die Reifen knirschten leise.
    »Nach Fulda, bitte. Sie wissen ja«, sagte der Vater.
    Reni war begeistert. Ihr war auf Anhieb klar geworden, dass sie das Autolenken selber lernen wollte. Jockel fiel ihr ein, das Fliegen. Sie fuhren aus dem Hof und flogen übers Land, alles war so weich und leise auf der Straße. Erinnerungsreste sprangen in ihr hoch: Berlin, Tante Magda und ein paar lange Taxometerfahrten. Sie, Reni, war so klein gewesen, dass sie nur hohe Häuserfenster oder Dächer hatte sehen können, Omnibusse, Straßenlampen, Hüte, Regenschirme,
hochgespannte Drähte, alles durcheinander, wie ihr schien, in einem atemlosen Wechsel.
    Der Vater meinte: »Selbstredend wirst du selber fahren lernen.«
    Da leuchtete es wieder: das große neue Leben!
     
    Der Ober schob einen Servierwagen an den Tisch und legte vor. Es gab fette Gänseleber, Kalbswangen in Madeira. Der Vater tupfte sich den Mund. Reni folgte seinem Vorbild mit behutsamen Bewegungen. Sie hatte Angst, dass ihr irgendeine Ungeschicklichkeit passierte.
    Die Wange eines Tiers hatte sie noch nie gegessen. Zum Glück waren es dünne Streifen, die der Ober selber schnitt und auf die Teller legte. Auch die Leber kam in Würfeln auf den Tisch. »Austernpilze, Charlotten, ein Püree aus Petersilienwurzeln und Maronen«, sagte der Kellner und es schmeckte süß und würzig.
    Das Restaurant hieß Zum Goldenen Löwen und lag in der obersten Etage eines neuen, ziemlich hohen Hauses. Man blickte über Fulda.
    Als der Vater angekündigt hatte, dass man in die Stadt fahren würde, war Reni sofort Jockel eingefallen. Nicht dass sie daran dachte, auszubüxen oder den Vater mit irgendeinem Vorwand zu belügen. Aber es machte sie nervös, zu wissen, dass Jockel in der Nähe war, im Krankenhaus womöglich, wie Fräulein Knesebeck es angedeutet hatte.
    »Lydia!« Der Vater hob sein Glas und prostete ihr zu. Ihr Lächeln hatte etwas Säuerliches. Ihr Gatte, der Verwaltungsdirektor, hatte ein hölzernes und scharf geschnitztes Gesicht wie der Berliner Kasperl, den Reni als Kind bewundert hatte. Die gleiche lange Nase, hohe, rote Wangen wie zwei halbe Äpfel.

    Als Reni vorhin mit dem Vater den Raum betreten hatte, war Lydia von Treschke ohne Umschweife auf sie zugekommen, hatte ihr die Hand gegeben und gesagt: »Ferdinand, das ist wunderbar. Ich habe mich auf alles Mögliche eingestellt, aber dass du einen solchen Engel mitbringst, übertrifft alles.« Sie lachte hell. »Wie willst du vermeiden, dass der erste beste Millionär oder Filmschauspieler sie dir einfach wegnimmt?«
    Reni hatte einen schönen Knicks gemacht. Die Verlegenheit steckte ihr immer noch im Hals. Sie sah dem Kellner zu, er schnitt das Wangenfleisch, legte es vor, entschuldigte sich unentwegt und lächelte perfekt – nicht falsch, nicht übertrieben.
    Den Raum, in dem sie aßen, hatten sie mit einem modernen Aufzug erreicht. Er hatte sie in den siebten Stock gezogen und sie waren ausgestiegen. Der Ausblick hatte Reni abermals an Jockel denken lassen. Die Fenster schauten auf den Schulzenberg. Die vielen roten Dächer und Kamine, Baumkronen, schlanke Pappeln. Auf allen Tischen standen Blumen, die Sessel waren sehr bequem und hatten weiche Armlehnen. An den Wänden hingen Gemälde, auf denen Jagdgesellschaften abgebildet waren, Reihen von erlegtem Wild, Hunde, Pferde, Treiber, aber auch Porträts. Die Servietten waren steif und hübsch gefaltet und standen von alleine aufrecht.
    Der Bürgermeister war vor ein paar Wochen Witwer geworden und trug ein samtenes Trauerband am Arm. Er gab sich wortkarg, nickte manchmal. Er tat Reni leid. Seine Falten im Gesicht waren tief und dunkel, als hätte man sie mit Zeichenkohle nachgemalt und noch hervorgehoben. Nach langem Schweigen sagte er: »Komtesse Renata, Sie wissen, dass Sie für Ihren Vater eine überaus große Herausforderung bedeuten. Ja, man kann sagen, Sie laden ihm eine schwere Verantwortung
auf die Schultern. Es kommt ganz darauf an.« Er schwieg abrupt.
    »Es kommt worauf an, Herr Bürgermeister?«, fragte der Vater

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