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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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aus hatten die älteren Mädel das Krankenhaus besucht. Es ging um die Berufswahl und die Tätigkeit der Krankenpflege. Dabei hatten sie erfahren, dass zwei große Ziegelbauten, die aus dem Haupthaus in den Hof vorragten und an welchen Lydia und Reni nun vorübergingen, Operationssäle waren. Die Räume hatten hohe, weiße Sprossenfenster, in die viel Tageslicht auf das fiel, was im Innern vor sich ging. Der ganze Hinterhof gefiel ihr nicht, als Reni ihn durchquerte, er strahlte für sie etwas aus, das sie an Schmerzen denken ließ.
    Lydia von Treschke wurde im Haus mit äußerstem Respekt behandelt, die Angestellten gaben ihr die Hand und machten artige Verbeugungen. Man servierte Tee und Kuchen, der jedoch unberührt blieb. Lydia verschwand in einem der Büros und Reni wartete geduldig. Aber im Innern war sie entsetzlich aufgeregt. Natürlich fühlte sie die Angst und Riesenfreude, Jockel zu begegnen. Der Gedanke, dass er hier ganz in der Nähe war, erfüllte sie mit Wärme. Die Hoffnung, ihn zu treffen, wuchs von Augenblick zu Augenblick.

    Als Lydia lachend wieder in das Zimmer kam, mit runden Augen, sah Reni gleich, dass Jockel hier behandelt wurde. Es war ein süßer Schreck.
    Lydia sagte einfühlsam: »Ich begleite dich bis zur Saaltür. Dann musst du dein Abenteuer alleine durchstehen. Ich fühle mit dir, Kind, sehr sogar. Aber es bleibt unser Geheimnis. Ferdinand ist ein Mann und noch dazu dein Vater. Er wird es früh genug erfahren. Nachher erzählst du mir, wer dieser Junge ist, versprichst du das?«
    Es hätte nichts gegeben, was Reni später lieber täte. Sie sprang nach vorn und gab Lydia einen Kuss. Sie quietschten beide vor Vergnügen.
    »Ich fahre noch mal in die Stadt. Eine halbe Stunde, einverstanden?« Leise fügte Lydia hinzu: »Dann musst du mir erzählen, ob du ihm deine Liebe eingestanden hast. Ich bin gespannt.« Sie fasste Renis Hand und zog sie auf den Flur hinaus.
    Am liebsten wäre Reni neben ihr gehüpft, aber die Angst hielt sie am Boden. Welche erwachsene Frau hüpft wie ein Kind, wenn sie die Aussicht hat, in ein paar Tagen echte Seidenstrümpfe anzuziehen? Reni war erstaunt, dass das Gefühl im Herzen erst hier und jetzt so hoch sprang und nicht schon draußen in den Feldern, als sie mit Jockel und den anderen zugesehen hatte, wie das Segelflugzeug landete. Ihr wurde klar, dass Lydia ihr geholfen hatte, das richtige Gefühl zu finden – als hätte sie den Segen einer einfühlsamen und erfahrenen Frau gebraucht.
     
    Jockel war das Erste, was sie sah, als sie den Saal betrat, obwohl es viele Betten waren. Er gefiel ihr sofort genauso wie vor einer Woche auf dem Feld, obwohl er hier im Bett saß, von Kissen abgestützt. Alle Einzelheiten betrachtete sie gerne:
Hals und Nacken, Augen, Mund, das schöne starke Kinn, wie er den Kopf hielt, auf eine Weise stolz. Er schrieb. Ein kurzes Brett lag auf den zugedeckten Oberschenkeln.
    Als er hochsah und sich ihre Blicke trafen, gab es ein Geräusch, von dem sie glaubte, dass es aus ihrem Herzen kam. Ein spitzer Ruf. Es schien ihr wichtig, ihre Gefühle nicht zu zeigen. Sie hatte Angst, dass er sich gar nicht freute. Sie sah, dass er verwundert war. Aber er lachte nicht. Erst als sie bei ihm stand, grinste er, legte den Bleistift hin und fragte: »Wer hat mich verraten?«
    »Fräulein Knesebeck … Was machst du da?« Sie zeigte auf das Brett.
    »Ich lerne.«
    »Für die Schule?«
    »Ich lerne Amerikanisch. Hab dir doch erzählt, dass ich nach Hamburg will. Später will ich anheuern. I want to sign on. New York. Which of the ships is called MS Victoria? «
    Sie musste lachen. »Du meinst nicht etwa die Gräfin Viktoria von Dirksen? Das wäre ja ein Zufall.« Sie sagte irgendwas, weil sie verlegen war. Sie hätte in den Boden sinken können, ihr ganzer toller Mut war futsch.
    »Hol dir bitte einen Stuhl. Da vorne.« Er legte das Schreibbrett auf den Rolltisch. »Ich freu mich, dass du mich besuchst. Weiß dein Vater, dass du hier bist? Kriegst du nicht Schwierigkeiten?«
    Reni sagte Nein. »Mein Vater spioniert mir nicht nach, so einer ist das nicht. Er hat Freunde in der Stadt, mit deren Hilfe bin ich hergekommen.«
    »Weil du kommen wolltest?«
    »Ja, natürlich.« Jetzt fühlte sie sich besser. »Wie krank bist du denn noch?«

    »Ich bleib nicht hier. Ein bisschen noch, weil mir ein Arzt sein Amerikanisch beibringt, das er selbst während seiner Schiffsreisen gebrauchen konnte. Die Polizei will mich zu meinen Eltern bringen, aber darauf kann

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