Blumen für den Führer
geworden, nicht mehr das Ganze im Auge zu behalten. Auch die Natur fordert große Opfer. Wenn du nach Berlin kommst, wirst du dir schnell ein stählernes Kleid zulegen, glaube mir.«
»Lass gut sein, Lydia«, sagte der Vater.
Der Kellner hatte wieder vorgelegt. Er machte seinen Diener und hauchte mit einer schönen hohen Stimme: »Wildschweinbraten, frische Waldbeeren in Kognaksauce, grüner Pfeffer und Wacholder.« Dann wünschte er den Gästen Guten Appetit.
Ein stählernes Kleid. Reni nahm sich vor, den Vater zu fragen, was Frau von Treschke damit meinte.
Während des weiteren Essens redete man über die Jagd. Fotografien machten die Runde. Lange Reihen toten Wildes, die Reni traurig werden ließen.
»Blattschuss«, sagte Frau von Treschke und zeigte auf ein Reh, das ausgestreckt am Boden lag.
Das Bild war gestochen scharf. Reni sah das »gebrochene« Auge, so nannte es Herr Treschke. Das Rehmaul war ein Stück geöffnet, man konnte die Zungenspitze sehen.
»Kann es sein, dass du dich davor ekelst, Renata?«, fragte die Dame. »Du musst dich nicht schämen. Ich habe lange gebraucht, bis ich mich überwinden konnte.«
»Der Führer isst kein Fleisch«, sagte Reni tapfer, »weil er nicht will, dass um seinetwillen ein Tier getötet wird.«
Lydia von Treschke sah sie an und lächelte berührt. »Ferdinand, sie ist ein wahrer Schatz. Viktoria wird eine Prinzessin aus ihr machen.« Sie sammelte die Fotografien ein und stieß sie wie ein Kartenspiel zusammen. »Mein Kind, wenn du nach Berlin fährst«, fuhr sie fort, »dann wirst du mich dort treffen. Du bist auf keinen Fall alleine. Wenn du einmal Sorgen hast, kommst du zu mir, hast du verstanden?«
Reni war verwundert. Sie verstand nicht ganz, woran die Dame dachte, wenn sie von »Sorgen haben« sprach.
»Nach dem Dessert lassen wir die Männer ein bisschen allein. Sie haben wichtige Dinge zu besprechen. Wenn du Lust hast, kannst du mit mir in die Stadt fahren. Ich habe ein paar Besorgungen zu machen, du kannst mir dabei helfen. Ferdinand, leihst du sie mir aus? Ich bringe sie in ein paar Stunden wieder unversehrt nach Haus. Vollkommen unversehrt«, fügte sie hinzu.
Renis Herz machte einen großen Sprung. Sie hatte Mühe, nicht sofort aufzustehen, und hoffte nur, dass der Vater es erlauben würde.
Er nickte stumm. Als Reni in die Hände klatschte, sagte er: »Nun schaut bloß mal, wie leicht man jemandem eine kleine Freude machen kann.«
Als Dessert wurden Eis und karamellisierte Tropenfrüchte aufgetragen. Sie sahen aus, als wären sie an Bäumen auf dem Mars gewachsen oder auf einem anderen fernen Stern.
Es wurde ein wunderbarer Einkaufsbummel. Reni durfte »Lydia« zu Frau von Treschke sagen. Sie kauften zwei entsetzlich teure hauchzarte Blusen, einen süßen Hut mit breiter Krempe, der Reni überaus gefiel, ein Hemd mit schwarzen Spitzen und sogar echte Seidenstrümpfe. Aber währenddessen spukte ihr dauernd Jockel durch den Sinn.
Lydia sagte: »Du kannst nicht Viktorias Soireen besuchen und keine echten Strümpfe tragen. Das brauchst du ja Ferdinand nicht zu erzählen. Wenn er es merkt, dann sag ihm einen schönen Gruß von mir. Wir werden viel Spaß dort haben, wir zwei, in Viktorias Berliner Salon. Viktoria ist eine gute Freundin. Sie hat eine Menge Fäden in der Hand. Mach nur nicht den Fehler, alles auf die Goldwaage zu legen. Für Zimperliesen ist kein Platz in dieser Zeit.«
Lydias eigene Besorgungen betrafen einen Fotoladen, eine Schneiderei, das Telegrafenamt, und schließlich hielt der Chauffeur auf einem Hof. Es war das Krankenhaus der Stadt. »Weißt du, ich bin die Frau Verwaltungsdirektor. Hier arbeitet mein Mann.« Sie zeigte auf das Gebäude. »Ich muss ein paar Kleinigkeiten für ihn erledigen.«
Es war so etwas wie ein Dammbruch, Reni erzählte ihr sofort
von Jockel. Ihre Stimme überschlug sich, Reni konnte gar nicht fassen, was geschah.
»Das finden wir sehr schnell heraus«, erklärte Lydia, »ob dieser Junge hier ist oder nicht. Überlass das mir.« Dann sah sie Reni an und lachte. »Ich fass es nicht: Du bist verliebt!«
Erst als Lydia zweimal nachfragte: »Hab ich recht?«, fand Reni auch den Mut, es vor sich selber zuzugeben.
Ein bisschen, immerhin. Es wäre wunderschön, verliebt zu sein.
Sie stiegen aus und gingen über den Hof zum Eingang der Verwaltung. In Renis Freude und Überraschung mischte sich ein Schrecken, weil sie sich mit einem Mal erinnerte, dass sie bereits hier gewesen war. Von Haus Ulmengrund
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