Blumen für den Führer
und den Kotflügeln hingen noch die Wassertropfen. Der Lack funkelte nur so in der Sonne und weit und breit war keine Menschenseele zu entdecken. Wie ein Indianer spähte Jockel in jeden Winkel, den er von hier aus einsehen konnte.
Es machte keinen Sinn, sich in der Hecke zu verstecken, also ging er ein Stück näher und sah sich die Armaturen an. Zu gerne hätte er das Lenkrad einmal richtig angefasst. Es hatte eine Haut aus hellem Leder, das Armaturenbrett war Obstholz mit den schönen Augen vieler Äste. Der Ring des Tachometers war verchromt; noch nie hatte Jockel solche Dinge aus der Nähe ansehen können.
Er fasste an den Türgriff. Er schien elektrisch, so tief durchfuhr ihn das Gefühl, als er ihn berührte. Jockel sah sich immer wieder um. Er war sich der Gefahr bewusst, in die er sich begab. Aber der Hof war menschenleer, Hühner scharrten, das Vieh stampfte und murrte leise in den Ställen, nicht
mal der Hundezwinger drüben schien belebt zu sein. Wenn jetzt ein Knecht auftauchte, konnte er noch unerkannt zu jener Hecke fliehen.
Die Klinke war so hart und glatt wie Glas. Er fühlte einen angenehmen Widerstand, als er sie niederdrückte. Es klackte warm, die Tür sprang einen Spalt breit auf. Er ließ die Klinke los, tat einen Schritt zurück und spähte wieder in den Hof. Neben einem Leiterwagen stand eine abgestellte Mistkarre, jemand hatte eine lange Zinkenforke angelehnt. Dann gab es ein Geräusch und Jockel fuhr herum. Aus einer halben Boxentür schaute ein Pferdekopf hervor. Mit seinem großen Maul drückte das Tier ein zweites Mal den oberen Teil der Tür nach außen, und der Beschlag des Riegels klirrte an der Ziegelwand. Jockel pustete vor Schreck. Er ging hin und hielt eine Hand unter die trocknen Pferdelippen. Er hatte den Rest des Apfels noch nicht weggeworfen und holte ihn hervor. Er liebte das Geräusch, wenn Pferde malmen.
Er hörte wieder etwas und fuhr herum. Aus einer anderen Stalltür tauchte plötzlich Reni auf und schrie, als sie ihn sah. Vor Freude oder Schreck. Sie trug ein blaues Kopftuch. Im selben Augenblick trat drüben auf der anderen Seite ein Mann aus der Gesindetür des Herrenhauses, pfiff gellend und rannte schimpfend los.
Alles ging so furchtbar schnell: Jockel erschreckte sich, er riss die Tür des Autos auf, winkte Reni zu und sprang hinein. Sie lachte schrill, der Motor brummte los und Reni saß an Jockels Seite. Damit zu fahren, war natürlich schwieriger als mit dem Motorrad auf dem Hof, der DKW RT 100 des Großknechts, der Jockel ein paarmal hatte üben lassen. Aber Jockel wusste, was eine Kupplung ist und wie man einen Gang einlegt. Im Spiegel sah er, wie der Mann mit beiden Fäusten drohte,
und konnte ihn für eine kurze Weile brüllen hören. Erst als Gut Haardt verschwunden war und die Chaussee in weichen Kurven durch die Felder führte, lachten sie beide los und jubelten, als hätten sie mit einem Streich ein Drachenheer bezwungen.
Das Lederlenkrad schmeichelte den Händen, der Sitz war weich, die Federung der Räder nahm jedes Schlagloch auf. Jockel sah Reni immer wieder an und konnte gar nicht fassen, dass sie bei ihm war.
»Wir sind verrückt«, rief er. »Wenn die uns kriegen, sind wir mausetot.« Sie schrien und lachten weiter.
Dann sagte er: »Ich weiß, wohin wir fahren. Wir besuchen meine Eltern.«
»Hast du nicht Angst vor deinem Vater?«
»Ich fahre wegen meiner Mutter hin, nach dem, was auf dem Feld passiert ist. Sie macht sich Sorgen.« Er stieß an ihren Arm. »Reni, kannst du mir nicht ein bisschen von deinem Glück abgeben?« Er stach zwei Finger in die Luft. »Ich schwöre, dass ich Gutes damit tue.«
»Nur wenn du mich mal lenken lässt.«
»Das Auto?« Er nahm den Fuß vom Gaspedal. Die Straße machte einen Bogen. Als zwischen den Bäumen eine Lücke auftauchte, bremste er. Die Reifen knirschten, dann war es still. Man hörte Lerchen aus der Höhe, das Schnattern einer Spatzenschar.
Sie sagte: »Er hat es mir erlaubt.«
»Was? Dass wir den Wagen klauen?«
»Wir bringen ihn doch zurück«, erklärte sie. »Aber ich darf fahren lernen. Das ist bestimmt sehr aufregend … wie Segelfliegen, oder?«, setzte sie hinzu.
Er nickte lächelnd. Dann stieg er aus. Sie wechselten die Plätze.
Jockel erklärte ihr die Funktion der Kupplung. Reni verstand schnell, worauf es dabei ankam und wie sie das Pedal zusammen mit dem Gas bewegen musste. Der Wagen polterte nach vorne, hüpfte und blieb stehen. Sie versuchte es ein paarmal, schließlich
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