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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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fuhr sie ein Stück geradeaus und freute sich. Vor einer Kurve bremste sie.
    »Danke«, sagte sie und strahlte. »Jetzt weiß ich, dass ich es lernen kann.«
    Jockel sah, dass sie etwas anderes auf dem Herzen hatte.
    Prompt fügte sie hinzu: »Darf ich dir eine Frage stellen? Aber sei nicht böse, versprichst du es?«
    Er hob erneut die Hand zum Schwur.
    »Dein Bruder hat doch einen Freund«, sagte sie. »Mein Vater erzählte mir, dass seine Mutter daheim verbotene Schriften versteckt hat. Weißt du, worum es dabei geht?«
    Jockel erschreckte sich gehörig. »Die Wohnung in Schwarzerden ist vollkommen verwüstet worden. Alle Möbel sind zerschlagen.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich war dort. Ich wollte mich bei Siggis Mutter verstecken. Nach Hause konnte ich doch nicht.«
    »Und jetzt fahren wir dorthin?«, fragte Reni verwundert.
    »Ja, aber mit diesem Auto. Mein Vater wird das Maul nicht wieder zubekommen, wenn ich ihm sage, dass ich jetzt beim Grafen als Chauffeurlehrling eingestellt bin. Das haut ihn um, glaub mir. Endlich muss er Respekt vor mir zeigen, der Alte. Das ist es, was ich wünsche.«
    »Lügst du ihn an?«
    »Das ist mir egal«, wehrte Jockel ab. »Ich lüge, weil er es verdient, belogen zu werden. Ich nehme Rache, das ist alles.«
    Reni schwieg.

    »Wir türmen, wenn es brenzlig wird«, ergänzte Jockel. Dann überlegte er. »Hat dein Vater auch über mich gesprochen?«
    Reni nickte. »Er trägt Verantwortung für viele wichtige Dinge, weißt du? Eigentlich lehnt er nur ab, dass du mit Brot-Korff und Fräulein Knesebeck Verbindung hast. Er hat bestimmt gute Gründe, auch wenn ich sie nicht kenne. Ich vertraue ihm.«
    Das sah Jockel ein. Dennoch fühlte er, dass etwas zwischen sie getreten war. »Was sagt er denn über Frau Goldschnigg in Schwarzerden? Wo ist sie überhaupt? Und was wird aus der Wohnung? Ich versteh das alles nicht.«
    »Ist diese Frau denn weg? Ich weiß nur, dass mein Vater sagt, es sei gefährlich, sich auf so was einzulassen.«
    »Auf was denn?«, fragte Jockel.
    »Auf die Feinde des Führers.«
    »Wer soll das denn sein?«
    »Leute, die nicht verstanden haben, was der Führer will, denke ich. Er will doch Gutes, er will sogar das Beste. Wie kann man überhaupt dagegen sein?« Sie zögerte. »Ich vertraue meinem Vater. Das würdest du doch auch an meiner Stelle tun, nicht wahr?«
    Jockel sagte leise Ja.
    Dennoch ärgerte es ihn, dass sie ausgerechnet jetzt, wo sie alleine waren, auf diese schwierigen Dinge zu sprechen kamen.
    »Reni …«, sagte er. Ihm schien, als täte es auch ihr leid, dass sich ein Schatten zwischen sie geschoben hatte. Dann überwand er sich und flüsterte: »Am liebsten würde ich dir einen Kuss geben.«
    »Was?«, rief sie und lachte.
    Es klang, als fände sie den Wunsch unmöglich, und er fügte schnell hinzu: »Nicht wenn du es nicht willst.«

    Sie blickte durch die Frontscheibe geradeaus auf die leere Straße. Ihre Hände umklammerten das Lenkrad, als lenkte sie den Wagen immer noch. Die Knöchel traten weiß hervor. Sie wurde rot, wandte das Gesicht zu ihm und schloss die Augen.
    »Wirklich?«, fragte er.
    Er hatte keine Ahnung, wie er es beginnen musste, ob er die Hände an ihre Wangen legen sollte, um ihren Kopf ein bisschen festzuhalten. Aber das erschien ihm ungeschickt, er wollte »zärtlich« sein, wenn ihn das Wort auch störte. So reden Mädchen, dachte er.
    Er staunte atemlos, als ihre Hände sich vom Lenkrad lösten. Sie öffnete die Augen; sie war es, die seine Schultern fasste, ihn festhielt und »zärtlich« zu sich zog. Dann fühlte er den Mund auf seinen Lippen, er spürte auch den Flaum über ihrer Oberlippe und hätte auf der Stelle losheulen können, so vieles stürzte auf ihn ein. Er war starr und stumm und dachte, dass er jetzt nichts denken sollte. Da war es schon vorüber. Ihr Gesicht entfernte sich, sein Herz polterte, er holte wieder Luft und fühlte sich erschöpft, als hätte er gerauft oder als wäre er ohne anzuhalten die Leiter zu seinem Giebelfenster in der Scheune hochgestiegen; die stand senkrecht auf dem Boden, oben in den Sparren festgeschraubt.
    Jetzt wo es zu spät war, überfielen ihn Gefühle. Solche, vor denen seine Mutter ihn gewarnt hatte – weil sie zu »kopfloser Lust« führen konnten, wie sie es nannte. Jockel hätte Reni gern gesagt, dass er sie liebte, dass er am liebsten immer in ihrer Nähe bliebe. Aber er verbot es sich aus Angst, und außerdem: Die Freude, Reni anzusehen, raubte ihm den Mut.
    Sie

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