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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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stiegen aus und tauschten wieder ihre Sitze. Jockel ließ den Motor an und fuhr. Sie durchquerten ein Stück Wald mit Namen Blaue Hecke, dann breiteten sich neue Felder aus.
Gerste und Hafer, dazwischen Kohl, Kohlrabi, Futterklee. Sie sahen die ersten Tagelöhner in den Reihen. Auf einem Hügelrücken wurde ein Pferd von einem Knecht geführt, es zog die Egge mühelos, wie es schien, die Erde leuchtete graubraun und hatte einen zarten Rotstich.
    Die Schlömer’schen Felder begannen ein Tal weiter, sie lagen weit verstreut, aber Jockel hätte jedes blind gefunden. Sie waren ihm vertraut wie jeder Winkel in den beiden Stuben auf dem Schlömerhof, auf dem er groß geworden war. Er kannte sie genauso gut wie jeden Spalt im Holz der Zimmerwände hinter seinem Bett. Als Kind hatte er darauf mit Kohlesplittern ausgedachte Ritter und Drachen hingemalt, die aus der Nähe immer noch zu sehen waren.
    »Wenn du noch in Haus Ulmengrund wohnen würdest«, fragte Jockel, »könntest du dir vorstellen, nach Hamburg mitzukommen?«
    Reni schaute aus dem Seitenfenster. Sträucher und Bäume flogen vorbei. Ihm schien es, als hätte sie ihn nicht verstanden.
    In einer Kurve sagte sie: »Ich mag es mir nicht vorstellen, dass ich keinen Vater habe.«
    »Ich wollte dich nicht ärgern, Reni.«
    »Das weiß ich ja. Ich lerne gerade, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind, verstehst du das?«
    Jockel fand es richtig, nicht weiter vorzudringen. Aber er wollte die Frage, ob sie mitkommen würde, unbedingt gestellt haben.
    In der Ferne tauchten Dächer auf. Nach einer Weile fragte Reni: »Denkst du, sie würden mich auf einem Schiff anheuern lassen?« Bevor er etwas sagen konnte, fügte sie hinzu: »Ich könnte waschen oder kochen. Wer macht das eigentlich auf einem Schiff?«

    »O nein«, rief Jockel. »Wenn du dabei bist, will ich, dass du genauso ein Matrose wirst wie ich. Ich will, dass wir zusammen sind, nicht du in der Kombüse und ich mit Farbe und Pinsel draußen an der Reling. Das wäre ungerecht.«
    Vor ihnen in einer flachen Mulde lag der Schlömerhof. Jockel klopfte das Herz bis in den Hals. Er ließ das Auto langsamer werden und biss die Kiefer aufeinander. Reni sagte: »Ich kann prima streichen. Ich habe in Ulmengrund das Geländer an der Kellertreppe weiß gestrichen.« Sie sah ihn von der Seite an. »Du glaubst mir nicht!«
    »Doch!«, bemerkte er. Aber er musste grinsen.
    »Du bist so eingebildet«, sagte Reni. Dann lachte sie. »Wir würden gut zusammenpassen.«
    Jockel trat die Kupplung und ließ den Wagen weiterrollen bis zum Tor. Dort bremste er und brachte ihn zum Stehen. Er war zu Hause. Die kleinen Fenster des Gesindehauses wurden vom Efeu halb umrahmt. Der Hund des Bauern wälzte sich vom harten Lehmboden hoch, bellte unentschlossen und straffte seine Schnur. Als Jockel ausstieg, äugte er herüber, erkannte ihn und winselte.
    »Reni, bleibst du bitte hier beim Wagen?«, bat Jockel. »Nur falls meinen Vater die blinde Wut packt, wenn er mich sieht.«
    Reni stieg aus und ließ die Tür angelehnt. Jockel ging zum Haus und spähte durch die Fenster. Drinnen war es dunkel. Um diese Zeit würde der Vater in den Ställen sein, die Mutter bereitete das Essen vor. Er klopfte an die Scheibe, schirmte die Augen ab. Sie würde sich erschrecken, wenn sie ihn entdeckte, aber die Haustür war auf der anderen Seite, und man ging vom Hof herein. Dorthin konnte er nicht gehen; er traute Schlömer und den Knechten nicht. Die zögerten nie, jemanden zu hetzen und zu quälen.

    Er klopfte wieder. Diesmal sah er etwas blinken. Die Mutter drehte sich herum und schlug sich eine Hand vor den Mund. Sie kam und öffnete das Fenster.
    »Junge!« Sie sah Reni und das Auto.
    »Es gehört ihrem Vater, dem Herrn Grafen«, sagte er hastig. »Hör zu, Mutter, ich bin kein Mörder, wie sie sagen, glaub das bitte nicht. Wenn ich in Hamburg bei Helmuth bin, schreibe ich dir. Mir geht es gut und mach dir keine Sorgen.«
    Sie weinte schon, die Lippen zitterten, es tat ihm weh.
    »Wo ist der Vater?«, fragte er.
    »Im Hof … Er schlägt dich tot, wenn er dich sieht.«
    Er brauchte alle Kraft, um stark zu bleiben. Sie sollte wissen, dass er sich nicht unterkriegen ließ. Ihre Schwäche konnte er verzeihen; sie musste mit dem Vater Frieden halten. Er beugte sich vor, gab ihr einen Kuss auf die Wange und ging mit festen Schritten zum Tor.
    Der Hund witterte, als Jockel an ihm vorüberging. Reni stand auf ihrem Posten. Im Hof sah er den Vater schuften, der Bauer

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