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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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erklärt.
    Das Ehepaar von Treschke sah übermüdet aus, sie hatten dunkle Ränder unter den Augen. Allerdings hellte sich Lydias Miene merklich auf, als sie Reni und dem Vater einen guten Morgen wünschte. Meine neue Freundin, dachte Reni und musste sich sehr zügeln, um Lydia nicht einfach um den Hals zu fallen.
    Dieses Mal hatte der Vater nicht mit dem Schaffner streiten müssen. Das reservierte Abteil der Ersten Klasse hatte weinrote Polstersitze mit Armlehnen, Vorhänge am Fenster und an der Schiebetür zum Gang. Unter dem Fenster stand ein Klapptisch. Reni durfte sich ans Fenster setzen, mit Blick in Fahrtrichtung. Lydia fuhr »gegen den Strom«, wie sie es nannte; es mache ihr nicht das Geringste aus.
    Natürlich lag es Reni sehr am Herzen, Lydia von Jockel zu erzählen. Alles. Ihr alleine, so wie man einer guten Freundin seine Sorgen anvertraut. Und Sorgen hatte sie. Sie hatte schlecht geschlafen, nachdem ihr ausgerechnet von Fräulein Dohm eine vom Vater offenbar erwünschte Predigt vorgetragen worden war. Ein bisschen kränkend. Der Vater hatte nichts gesagt, hatte sich die meiste Zeit zurückgezogen und seine Missbilligung nur mit Blicken ausgedrückt.
    Am Morgen im Salon, bevor sie losgefahren waren, hatte Reni allen Mut gesammelt und gefragt, ob er ihr wegen Jockel böse wäre. Der Vater hatte kurz gelächelt und für einen Augenblick war alles wieder leicht und schön gewesen. Doch dann und wie aus heiterem Himmel hatte er gesagt:
»Du musst dich von dem Bauernpack entfernen. Besonders von diesem Subjekt. Das gebietet dir dein Stand. Es ist das Letzte, was ich dazu sage.«
    Reni war so erschreckt gewesen, dass sie nichts hatte sagen können. Dann war ihr klar geworden, dass sie sich entscheiden musste. Und sie entschied sich für den Vater. Jockel war nicht hier. Der Vater war vielleicht nur eifersüchtig, hatte sie sich überlegt. Es war doch klar, dass er Gefühle dieser Art nicht würde fördern wollen. Seine Pläne waren edel, und er war wichtiger als ihre Liebe, auch wenn ihr Herz etwas anderes sagte.
    Nachdem sie etwa eine halbe Stunde gefahren waren, servierte ein Ober in Livree ein »Süßes Frühstück«, französische Butterhörnchen, Honig und Hollundergelee, dazu guten Kaffee. Die leeren Tassen surrten klingelnd auf den Tellern. Dann wurden sie gefüllt. Wenn Reni seitlich auf den schwarzen Kaffee schaute, konnte sie den Schlag der Räder auf den Schienen als kleine Ringe auseinanderstreben sehen.
    Verwaltungsdirektor von Treschke las aus der Zeitung vor. In Birmingham habe ein von zwanzigtausend Teilnehmern besuchter »Kongress der Schlaflosen« stattgefunden. »In England gibt es davon zwei Millionen.« Er blickte hoch. »Das ist ganz sicher unsere Schuld.« Er lachte. Reni konnte seine etwas schiefen Zähne sehen.
    Lydia ignorierte ihn. Sie schaute Reni an, und als der Vater aufstand, sich entschuldigte und auf den Gang hinaustrat, sagte sie: »Ich sehe dir an, dass du etwas auf dem Herzen hast. Möchtest du, dass wir beide in den Salonwagen gehen? Die beiden Herren dürfen weiter Zeitung lesen.«
    Reni lächelte.
    »Ein klares Ja«, stellte Lydia fest. Sie nahm ihre Tasche und
stand auf, schob die Zeitung ihres Gatten aus dem Weg und ging zur Schiebetür. Reni war voller Freude und Bewunderung.
    Der Salonwagen der Ersten Klasse war eine Art lang gestrecktes Wohnzimmer. Große, bequeme Ohrensessel standen paarweise vor den Fenstern und hatten Tische zwischen sich, auf dem Boden lag ein himmelblauer Teppich. Zwei Sessel wurden eben frei, und als der Ober kam, bestellte Lydia einen »Guten-Morgen-Cognac«. Sie setzte sich und rauchte hustend. Dann fragte sie: »Hast du ihn getroffen?«
    Reni sprudelte, als hätte jemand ein Ventil in ihr geöffnet. Der Ober brachte das Glas, und Lydia leerte es, bevor er fortgehen konnte. Er verbeugte sich gekonnt, und während Reni Lydia fragte, ob auch sie das Abenteuer für einen Autodiebstahl halte, kehrte der Mann zurück. Er trug das neue Glas auf einem Perlmutttablett. Lydia nahm es und schwenkte es ein paarmal, schloss die Augen und hob es an die Nase. Der Cognac hinterließ zartbraune, ölig zähe Zungen an der hauchdünnen Innenwand. Dort wo die Lippen das Glas berührten, blieb eine dunkelrote Spur. Lydia lächelte und sagte: »Ich denke, dass dein Vater sich ein bisschen schämt.«
    »Aus Eifersucht auf Jockel?«, fragte Reni. »Aber das muss er doch nicht! Das ist doch etwas völlig anderes.«
    Lydia schwieg, sie hob die Augenbrauen und

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