Blumen für den Führer
Hände drückten.
Nach kaum zwei Wochen ein zweites Mal vor dem fürstlichen Hotel Kaiserhof am Berliner Wilhelmplatz von jungen Pagen und livrierten Dienern begrüßt zu werden, fühlte sich für Reni an, als spielte sie in einem Märchen mit – mit Königen und einem Hofstaat, dem wie beim ersten Mal auch jetzt wieder echte Mohren, bunte Inder und Chinesen angehörten.
Lydia ging etwas schwer. Ihr Gatte führte sie am linken Arm, der Vater flankierte auf der rechten Seite. Reni zählte das Gepäck, das aus dem Taxameter in einen dieser hohen, goldenen Stangenwagen umgeladen wurde. Neun Teile waren es, vier Koffer, drei unterschiedlich große Ledertaschen und zwei Hutschachteln, die natürlich Lydia gehörten.
Ein Page führte sie zum Aufzug, drinnen zischte leise die Pneumatik. Sie fuhren hoch.
»Sag, Ferdinand«, fragte Lydia, »hast du deiner Tochter schon erzählt, dass unser Führer hier oben eine Wohnung unterhält?
« Sie zeigte mit dem Finger zu dem Deckenlicht hinauf.
»Hier im Hotel?« Reni sah den Vater an. Sie spürte einen angenehmen Schreck.
Bevor der Vater etwas sagen konnte, fügte Lydia hinzu: »Ich glaube, er nutzt sie selten. Aber wenn er donnerstags zu Viktorias Soiree geht, muss er nur das Stockwerk wechseln und durch ein paar Flure laufen …« Sie schloss die Augen. »Ich leg mich erst mal hin, wenn ihr gestattet. Ihr seid doch auch erschöpft, das sehe ich.«
Der Aufzug hielt wackelnd an. Der Liftjunge öffnete die Tür und wünschte einen angenehmen Aufenthalt. Der Page, der die Zimmerschlüssel trug, eilte ein Stück voraus. Reni war von der Neuigkeit so abgelenkt, dass sie zunächst nicht wusste, was der Junge wollte, als er die Tür geöffnet hatte und ihr mit weicher Geste zu verstehen gab, das Zimmer zu betreten. Sie wurde rot und ging hinein. Der Vater folgte ihr und rief zurück, man treffe sich zum Lunch und werde sich beizeiten mit dem Zimmertelefon verständigen. »Das nämlich ist der Fortschritt unserer Zeit«, ergänzte er und zog eine Münze für den Pagen aus der Westentasche.
Im Zimmer packte der Vater seinen Koffer aus, legte die Sachen in den Schrank und die Kommode. Reni hatte ein eigenes Zimmer und nahm es staunend in Beschlag.
Als sie mit dem Auspacken fertig waren, fragte sie der Vater, welchen Film sie sehen wolle, sie könne ruhig nach unten fahren, um zu fragen, was es in den Kinos gab; an der Rezeption werde man ihr gerne helfen.
Sie übernahm den Auftrag liebend gerne, wusch sich im Badezimmer, das größer war als das für alle Mädel in Haus Ulmengrund. Sie zog ein grünes Kleid mit kurzen Ärmeln
an, das ihr gefiel. Es hatte in der Taille einen hübschen breiten Gürtel. Sie ordnete ihr Haarnest und fragte, ob sie gehen dürfe.
»Natürlich. Aber ja«, sagte der Vater, er war schon vertieft in seine Post, die man seit ihrem letzten Aufenthalt im Kaiserhof für ihn gesammelt und ihm an der Rezeption übergeben hatte.
Sie nahm den Zimmerschlüssel und ging hinaus. Der Teppich auf dem Gang verschluckte ihre Schritte; sie hörte überhaupt kaum ein Geräusch. Vom Treppenhaus drang etwas Sonderbares zu ihr vor: ein leises Atmen oder weiches Pfeifen aus dem Aufzugschacht, vielleicht wenn sich die Lifttür in Bewegung setzte oder der Käfig selbst nach oben oder unten fuhr.
Der Führer wohnte hier im Hotel! Sie konnte an nichts anderes denken und stellte es sich vor. Es bedeutete, dass damit zu rechnen war, ihm zu begegnen – überall im Haus, sogar im Lift. Der Liftjunge öffnet irgendwann die Gittertür, und vor ihr steht der Führer in Begleitung seines Adjutanten, womöglich auch allein – so etwas konnte jederzeit passieren! »Guten Tag. Wir sind uns doch schon einmal begegnet, nicht wahr?« – »Im Stadion, mein Führer, zur Eröffnung unserer Sommerspiele.« – »Sieh mal an. Die Blumen waren wunderbar.« – Der Lift hält an. Bevor die Tür zur Seite rasselt, nimmt er ihre Hand und deutet einen Kuss an. »Darf ich nach Ihrem Namen fragen?« – »Komtesse Renata, Tochter des Grafen Haardt.« – »Dann sehen wir uns sicher wieder, am Donnerstag auf der Soiree der Gräfin Vicki. Wenn du etwas auf dem Herzen hast, mein Kind, egal worum es geht, ich helfe dir. Du musst mir nur vertrauen.« – »Das will ich tun, mein Führer. Ich schwöre es bei meiner Liebe …«
Reni hatte alles um sich her vergessen. Tatsächlich klirrte vorne im Flur die Aufzugtür, der Liftjunge lugte heraus und grüßte. Sie lief hin und wollte mitgenommen werden
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