Blumen für den Führer
schon da sein. Ich weiß nicht, wo er wieder steckt.« Sie fing
Waltrauts Blick ein. »Sie essen auch mit uns, das ist doch sonnenklar.«
Waltraut bedankte sich und trank die Tasse leer. Die Wirtin schälte mit gepressten Lippen weiter. Dann fragte sie: »Erich, wo bleibt denn dein Freund?«
Der Mann zuckte mit den Schultern und kreischte noch mal mit der Feile. Er pustete den silbergrauen Eisenstaub vom Rahmenholz und schloss das Fenster probeweise. Aber es klemmte immer noch. Er zog die Stirn in Falten und schimpfte unterdrückt.
Auf dem Gasherd schmorten Kohlrouladen, das hatte Waltraut gleich gerochen, als sie hereingekommen war. Sie freute sich sehr über die Einladung. Als Kind schon hatte sie die seltenen Sonntage geliebt, an denen sie so einen Wickel vor sich auf dem Teller hatte – manchmal sogar Fleischrouladen, weil eine Tante bei der sogenannten Freibank tätig war, wo minderwertiges, aber genießbares Fleisch verkauft wurde. Meistens aber gab es Kohlrouladen mit einer Füllung aus Gehacktem, Brot und Zwiebeln. Sie hatte dann immer nach dem Zipfel des braun gebratenen Fadens gesucht, der die Roulade zusammenhielt, und lustvoll daran gezogen. Der Wickel hüpfte dann auf dem Teller unter das Gemenge aus Gemüse und Kartoffeln. Damals hatte sie sogar die kleinsten Fasern abgezupft und in den Mund gesteckt, die an dem Faden festgebacken waren.
Als die Kartoffeln weich waren, hatte der Wirt es geschafft: Das Fenster ließ sich wieder schließen, ohne dass die Rahmen aneinander schabten. Lisbeth stellte vier Teller auf den Tisch und Waltraut half ihr. Für einen Moment spürte sie, dass sie einander gut ertragen würden, das Ehepaar und sie, wenn sie hier wohnen bleiben würde.
Sie setzten sich zum Essen. Waltraut spielte wirklich wieder mit dem braunen Faden, und man verzieh es ihr sogar, im Unterschied zu früher, als die Roulade in die dünne Soße platschte. Es schmeckte wunderbar. Korffs Platz war leer, und plötzlich merkte Waltraut, dass Lisbeth nur Kartoffeln und ein paar Rübenstücke auf dem Teller hatte. Es waren drei Rouladen und sie hob die ihre auf. Waltraut sagte nichts, nur ihre Dankbarkeit und das Gefühl für Lisbeth wurden immer stärker, und sie empfand Achtung vor der Kraft, mit der die Wirtin die Enttäuschung überspielte. Lisbeth tupfte wohlerzogen ihren Mund aus Furcht, den Purpur ihrer Lippen zu beschädigen.
»Wo dein Korff nur bleibt!«, wunderte sie sich. Ihr Mann hatte schon aufgegessen und lehnte sich zurück.
»Der kommt«, erklärte er. »Den treibt der Hunger her.«
Seine Frau aß ihr Gemüse auf. »Wäre schade um das Fleisch. Ich stelle es ihm kalt.« Damit stand sie auf und nahm den Eisentopf vom Herd. Sie denkt, er kommt nicht mehr, überlegte Waltraut und sah ihr zu, wie sie zum Wasserbecken ging, den Rasierspiegel von seinem Nagel nahm und mit einem sauberen Lappen an das Fenster trat. Dort prüfte Lisbeth, ob ihr Mann hersah, aber der saß mit kleinen Augen da und döste nach dem Essen. Sie steckte einen Finger in das Tuch und wischte sich die Lippen ab. Es war kein schöner Anblick und wirkte traurig.
Plötzlich wurde der Wirt hellwach. »Lisbeth denkt, ich bin blind und taub.«
»Bist du ja auch!«, rief sie schnippisch.
Er konterte in Waltrauts Richtung: »Sie hofft es, wissen Sie? Dabei soll sie froh sein, dass ich das alles mit mir machen lasse.«
»Was alles? «, fragte Lisbeth.
»Du weißt schon, was ich meine! … Hier vor fremden Leuten!«
»Fräulein Knesebeck versteht mich. Von Frau zu Frau. Davon weißt du nichts.« Sie prüfte mit einem kurzen Blick, ob Waltraut hörte, was sie sagte, und ergänzte leise: »Er ist stolz auf mich. Aber glauben Sie ja nicht, dass er heilig ist, der Schuft. Den Eindruck will er nämlich hinterlassen.« Sie sammelte die Teller ein und das Besteck und setzte Wasser auf. Korffs Platz blieb unberührt.
»Ich habe meiner Mutter geschrieben, dass ich komme«, sagte Waltraut, und sie bedauerte, dass sie den Plan nicht ändern konnte. Eine Weile saßen sie beisammen, tranken selbst gemachten Hollundersaft, der Wirt rauchte eine Zigarette. Waltraut spürte, wie die Wirtin litt, weil Korff nicht kam. Seinen Teller ließ sie stehen, legte immer wieder das Besteck zurecht, als ließe er sich durch Magie herbeiführen. Sie schwieg die meiste Zeit, während ihr Mann laut in der Zeitung las und die Olympiamedaillen für das Reich aufzählte. Erst als Waltraut aufgestanden war und mit dem Wirt das Haus verließ, weil dieser
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