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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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keinem Ungeheuer.« Sie lachte kurz und erstarrte wieder.
    »Gut«, sagte er. »Jedenfalls sollten wir nicht länger zögern, endlich auch die Kinder in Ulmengrund offiziell in den Jungmädelbund* zu überführen. Ich habe Ihnen die erforderlichen Unterlagen bereitgelegt. Bitte, erledigen Sie das so schnell wie möglich. Es hat diesbezüglich aus Berlin bereits Bemerkungen gegeben. Ich weiß, dass Ihre rheinischen Förderer anderer Auffassung sind, aber das interessiert in Berlin niemanden.«
    Frau Misera faltete erneut die Hände, die Knöchel traten hervor. Waltraut musste hinsehen. Es gelang ihr nicht, ihre Verwunderung darüber abzuwehren, dass der Graf Renis Nachnamen genannt hatte, obwohl er zu Beginn der Unterredung nicht einmal ihren Vornamen gekannt oder behalten hatte.
    »Was denken Sie, Fräulein Knesebeck?«, fragte er.
    Sie dachte, dass sie vor den Veränderungen Angst hatte, die überall zu beobachten waren, die alles zu erfassen schienen. Sie hatte Angst, dass auch sie mitgerissen wurde, geistig, körperlich, wenn sie sah, wie die Leute sich auch äußerlich anpassten, indem sie Uniformen trugen, zackig grüßten und in einer Weise redeten, als sei man bei der Wehrmacht.
    »Ich glaube«, sagte sie, »wenn wir Reni gegenüber Sorge
und Achtung aufwenden, dass wir dann verpflichtet sind, diese Umsicht auch allen anderen zu schenken.« Mit Absicht hatte sie »allen anderen« gesagt und nicht »allen anderen Mädchen «. Es war ihr eingefallen, während sich der Satz in ihr gebildet hatte.
    »Sie möchten keinen Unterschied machen zwischen Reni und den anderen?«, erkundigte sich Haardt. »Oder zwischen den Menschen überhaupt?«
    Waltraut nickte und lenkte ihren Blick zur Misera, die keine Miene verzog.
    »Ach«, machte er mit überraschend hoher Stimme. »Jetzt klingt aber dieser Negerarzt hindurch, habe ich recht? Für mich ist das alles Exotik, wie ich sagte. Aber das geht in Berlin niemanden etwas an, nicht wahr?«
    »Danke«, sagte die Misera.
    Unnötigerweise, wie Waltraut fand. Das und Ähnliches waren diese unzähligen winzigen, oft unmerklichen Schritte, in denen sich alles zu wandeln schien und vor denen sie sich fürchtete, weil sie nie wusste, wann und wo sie selbst …
    »Ist Reni für den Jungmädelbund nicht schon zu alt?«, fügte die Leiterin plötzlich hinzu. »Das ist doch schon der BDM*, oder nicht?«
    »Liebe Frau Misera«, rief der Graf aufgeräumt, »so haarklein müssen wir es nun auch nicht nehmen. Die Staatskanzlei * kocht ja auch nur mit Wasser. Überhaupt habe ich vielleicht ein wenig übertrieben, als ich davon sprach, wie sehr … kriegsentscheidend, könnte man fast sagen, die olympische Verabredung am ersten August in Wahrheit ist. Wir sollten die Kirche im Dorf lassen, nicht wahr, Fräulein Knesebeck?«
    Waltraut lächelte.
    Aber warum und worüber? Es fiel ihr schwer, ihm zu vertrauen.
Der Raum war zu hoch, der Garten zu gedehnt, die Möbel zu schwer und zu dunkel, die Vorhänge leuchteten seltsam, irgendwo im Haus hörte sie eine helle Stimme singen. Vielleicht ein Zimmermädchen oder die Köchin. Wer lebte hier eigentlich? Dieser Mann, dem das meiste gehörte, und die Dienstboten, die kaum etwas besaßen. Aber jeder wusste vom anderen, da gab es kein Geheimnis, immerhin. Das tröstet doch und schafft Vertrauen. Aber Waltraut fühlte nichts dergleichen.

Rhönfalke
    F riederike, gleich neben Reni in der Furche auf dem Feld, hörte einfach nicht mehr damit auf. »Nun dreh dich doch mal um!«
    »Nein.« Reni jätete weiter. Eine Lerche sang, der Wind strich mild von Osten her. Sie liebte diese Sommerstimmung, selbst bei der Feldarbeit.
    »Aber er guckt die ganze Zeit herüber.«
    »Soll er eben.«
    »Du bist gemein.«
    »Ich weiß.« Sie hatte jedes Recht, gemein zu sein, weil dieser Jockel sie so grausig in Verlegenheit brachte. Sie würde das Wasser nicht anrühren, das er ihr anbot, und wenn sie verdurstete. Dabei merkte sie schon, wie ihre Zunge am Gaumen klebte. Umso dümmer, dass er hoffte, sie würde mit ihrem Mund diesen ekligen Krug berühren, von dem niemand wusste, ob er sauber war oder ob man sich daran Krankheiten
holte, weil er bestimmt voller Bazillen war. Dieser Kerl und sein Bruder waren die Söhne von Knechten. Also was, bitte, sollte ihr Anlass geben, sich nach ihm umzudrehen oder gar mit ihm zu reden?
    Ihr Rücken schmerzte. Sie machte sich einen Moment gerade und schaute nach vorne, über ein Feld und zu einem leichten Hang, an dessen Flanke ein

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