Blumen für den Führer
gesehen hatte. Aber Reni wusste nicht, an wen.
»Du weißt ja, mein Kind, dass eine neue Zeit anbricht«, sagte der Graf. Er traf den Hausmeister mit einem Blick. »Ein paar Leute tun sich schwer, das zu begreifen, aber mit denen werden wir auch noch fertig. Es tut sich was im Lande.«
Waltraut Knesebeck war mit den anderen Erzieherinnen draußen im Flur geblieben und schaute durch die offene Tür herein. Kiank duckte sich.
Der Graf fuhr fort: »Sagen wir es mal einfach. Es gibt brauchbare Zeitgenossen und solche, die sich querstellen. Das scheint mir ein Naturgesetz zu sein.« Er presste die dünnen Lippen aufeinander.
Reni dachte, er würde weiterreden, aber er schwieg und blickte sie mit hochgezogenen Brauen an. Sie machte einen zweiten Knicks.
»Na also!« Er schaute umher, ob alle es gesehen hatten. »Das war doch schon sehr schön, dieser Knicks. Wenn der dir in Berlin auch so gelingt, werden wir alle zu einem Stück Weltgeschichte, was?«
Frau Misera beeilte sich zuzustimmen. Der Herr Graf bemerkte es mit sichtbarer Genugtuung.
»Ich glaube«, sagte er mit einem Mal, »wir haben es hier mit einem Fall von Korrektur zu tun. Ein Irrtum wird korrigiert. Man kann nicht immer alles im Leben sofort richtig entscheiden. Es gibt Dinge, deren Gewicht und Tragweite man erst dann treffend einzuschätzen vermag, wenn sie in die heilsame Unschärfe der Vergangenheit entrückt sind.«
»Aber ja, Herr Graf«, sagte Frau Misera.
Reni verstand nicht, was er meinte.
»Reni, mein Kind«, fuhr er fort, »du bist nun mal ein sehr
besonderer Mensch, das musst du mir glauben.« Er wiegte seinen großen Kopf hin und her. Das Weiß in seinen Augen hatte feine rote Äderchen.
Reni fröstelte; dabei war ihr eben noch heiß gewesen.
»Wir werden uns beide mit Freude an diesen Tag erinnern. Es wird einer dieser Tage sein, die das Leben gewissermaßen krönen. Für alle Zeit, verstehst du?«
Reni wusste plötzlich, an wen der Graf sie erinnerte. Aber das war eigentlich nicht möglich: Er hatte Tante Magdas Stirn und Nase. Sie hatte seine Stirn gehabt und ebenso die lange, gerade Nase.
»Also«, sagte er und schaute prüfend um sich. »Ab morgen werden wir uns das Problem mit all seinen Einzelheiten vorstellen und …« Friederike, die dicht bei ihm stand, störte ihn mit einem merkwürdigen Ton, als presste jemand ihren Brustkorb wie einen Blasebalg zusammen. Es flötete. Dann verdrehte sie die Augen, sank langsam auf den Boden und streckte sich. Reni und alle starrten hin. Der Graf tat einen Schritt zurück, fasste die Leiterin am Arm und stieß sie vor. »Nun tun Sie etwas! Bitte!«
Die Misera bückte sich und berührte Friederikes Hand.
Fräulein Knesebeck lief durch die offene Tür heran und kniete sich. »Mädchen! Friedel!«, rief sie und gab ihr einen Klaps auf die Wange. Friederike seufzte leise. Dann schlug sie die Augen auf.
»Ein Glas Wasser, aber Marsch!«, befahl der Graf.
Der Hausmeister wetzte los. Reni starrte den Grafen an. Er hat die Nase und die Stirn der Tante, dachte sie ausgerechnet jetzt, wo alle sich um Friedel scharrten.
»Ist dir besser?«, fragte Fräulein Knesebeck. Friedel nickte und lächelte verlegen. Herr Kiank kam mit einem vollen Glas.
Sie spielt es nur, hätte Reni um ein Haar laut gesagt. Das kann sie so perfekt wie Asta Nielsen*. Dann dachte sie erneut: Tante Magda hatte diese Stirn und seine Nase! Sie lachte halb versteckt.
Der Graf bemerkte es und sagte: »Diese Heiterkeit und deine, ich darf ruhig sagen: weltseltene Schönheit, liebes Kind, werden den Führer … sie werden ihn zu Tränen rühren, davon bin ich überzeugt.«
Reni fühlte sich erleichtert.
»Versprichst du mir, wirklich dein Bestes zu geben für diesen unschätzbaren, für diesen einzigartigen Augenblick, der vor uns liegt?«
»Versprechen?«, fragte sie verwirrt.
»Ein heiliges Versprechen«, stellte Frau Misera klar.
Friederike stand vom Boden auf, die Erzieherinnen stützten sie. Sie trank das Wasser und bedankte sich. Kiank war mit dem leeren Glas auf den Flur hinaus geflüchtet und lugte ab und zu herein.
»Du musst wissen«, ergänzte der Graf, »vom guten Gelingen dieser Begegnung hängt vieles ab. Es ist nicht nur ein Gewinn für dich. Du tust etwas, das uns allen dient. Verstehst du das?«
»Ja«, log Reni ängstlich hoffend, dass es richtig war. »Ich verspreche es.« Sie musste plötzlich an den krummen Dietrich aus Abtsroda denken und an die Reitgerte. Das war bestimmt erlogen und nie
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