Blumen für den Führer
von dort mit der Eisenbahn quer durch das Land. Da gibt es Coca-Cola und Negermusik.«
Sie hörten Stimmen aus dem Flur, die lauter wurden.
»Vielleicht wäre es angemessener gewesen, verehrte Frau Misera, wenn Sie einfach früher mit Ihrem Hausputz begonnen hätten, statt mir Vorwürfe zu machen, ich sei zu früh hergekommen.«
»Aber Herr Graf, ich bitte Sie, so etwas würde ich niemals wagen«, rief die Leiterin. »Niemand denkt auch nur an so etwas.«
Die beiden Mädchen stellten den Wassereimer und den Aufnehmer an die Seite. Graf Haardt trat in den Saal.
»Finden Sie, ich wäre zu sensibel, um zwei Ihrer Mädel beim Aufwischen zuzusehen?«, sagte er.
Reni und Friederike machten einen Knicks.
»Frau Misera hält mich für ein Ungeheuer.« Er trug eine grünlich schimmernde, anthrazitfarbene Sommerjacke, die modisch geschnitten war und ihn vielleicht jünger erscheinen lassen sollte, als er war.
Im Hintergrund tauchten nun auch die anderen Erzieherinnen und der Hausmeister auf. Statt seines Kittels trug er einen dunklen, faltigen Anzug, dessen Hosen zu kurz waren. Die Schuhe hatten schief abgelaufene Sohlen. Sein Gesicht war rot. Er atmete, als wäre er die Treppe hochgerannt.
»Ach, Kiank!«, rief der Herr Graf, als er ihn entdeckte. »Kommen Sie doch mal näher! Wenn Sie schon nicht in der Lage sind, endlich einmal alle Fenster in Ordnung zu bringen, von den vielen anderen Sachen will ich gar nicht reden, Mann, dann erwarte ich wenigstens, dass Sie bei Ihrem Leisten bleiben.«
»Herr Graf …«, stotterte Kiank.
Der Herr Graf unterbrach ihn. »Sagen Sie mal, mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie unnötig mit unseren Mädeln plaudern. Hier und da. Kümmern Sie sich lieber um den Garten, haben Sie verstanden?«
»Jawoll, Herr Graf«, schnarrte der Hausmeister.
Reni wich dem Blick des Grafen aus, der sie immer wieder streifte. Sie schaute auf den nassen Boden.
»Guten Tag, mein Kind«, sagte Graf Haardt zu ihr und suchte ihren Blick. »Kannst du mich bitte einmal ansehen, damit ich weiß, mit wem ich spreche?«
Reni schaute hoch und entschuldigte sich. Sie hatte das Gefühl, dass etwas auf der Lauer lag, nur dass sie es nicht sah. Sie schämte sich, weil Friederike und sie natürlich ihre Putzlumpen trugen und die zerschlissenen Latschen. Sie sahen beide schrecklich aus.
»Wir möchten dir etwas mitteilen«, begann der Graf von Neuem, »von dem wir glauben, dass es dich und uns alle sehr, sehr stolz machen wird.«
Reni merkte, wie ihr das Blut aus den Wangen fiel. Ihre Fingerspitzen prickelten.
»Reni, du bist aus sehr vielen Mädchen als die Geeignete ausgewählt worden, eine bedeutende Aufgabe zu übernehmen, um die dich alle beneiden werden. Es geht um etwas sehr Besonderes. Die Berliner Staatskanzlei hat sich entschieden,
in die Eröffnung der Olympischen Sommerspiele eine ausdrucksstarke Geste einzustreuen, die sich vor den Augen der gesamten Weltöffentlichkeit vollziehen wird.« Er holte Luft. »Unserem hochverehrten Führer und Reichskanzler wird ein Blumenstrauß überreicht.«
Reni wäre seinem Blick gerne entkommen, doch es gelang ihr nicht.
»Jetzt kannst du dir natürlich denken, wer dem Führer diesen Blumenstrauß überreichen wird. Mit einem hübschen Knicks, nicht wahr?«
Reni dachte gar nichts. Sie machte große, runde Augen. Jetzt sah sie den Herrn Grafen an. Er war ein schöner Mann, groß, mit feinen Zügen. Er hatte eine hohe Stirn, die Augen wirkten freundlich, obwohl er bemüht schien, seine Miene stets ein bisschen streng aussehen zu lassen. Das glatt rasierte Kinn stand vornehm heraus.
»Wir sind alle furchtbar stolz, Reni«, sagte Frau Misera. »Stell dir bloß vor, du wirst nach Berlin fahren und dort vor der ganzen Welt in dem riesigen Olympiastadium …« Sie verschluckte sich.
»Jedenfalls müssen wir noch ein kleines Programm abarbeiten«, sagte Graf Haardt. »Du willst doch vorbereitet sein, wenn dieser großartige Moment passiert. Wir haben nur noch ein paar Tage Zeit. Du darfst nicht vergessen, dass dieser Augenblick gewissermaßen das Zentrum deines Lebens werden kann. Immerhin haben wir es mit den Olympischen Sommerspielen zu tun, die es nur alle vier Jahre gibt, und diesmal in Deutschland. Es wird sehr, sehr lange dauern, bis sich dieses Ereignis wiederholt.«
Er sah sie an, ernst, aber nicht unfreundlich, doch auch nicht so, dass sie sich jetzt hätte ganz und gar wohlfühlen können.
Er erinnerte sie an jemanden, eigentlich immer schon, wenn sie ihn
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