Blumen für den Führer
vorgefallen.
Der Brief aus Hamburg
J ockel erschreckte sich, als er hereinkam, wie nie zuvor im Leben. Der Vater schlug mit einem langen Stock auf Helmuth ein, als hätte er den Verstand verloren. Keiner von beiden sagte etwas oder schrie. Der Bruder wich nur zögerlich zurück, hielt sich die Arme vor den Kopf. Der Vater drosch und keuchte.
Es war, als hätten sie es ausgemacht und wären beide einverstanden. Jockel schrie den Vater an, er solle aufhören. Helmuth aber stieß ihn weg und stellte sich den Schlägen, starrte den Vater an und wurde trotz der Prügel ruhig, reglos.
Plötzlich trat er vor, als träfen ihn die Hiebe nicht. Er griff den Stock mit einer einzigen Bewegung aus der Luft. Der Vater riss daran, strauchelte und wäre um ein Haar gefallen. Helmuth schmiss den Knüppel weg, er knallte vor die Wand. Dann schritt er unaufhaltsam auf den Vater zu und packte seine Gurgel mit einem einzigen Griff, der Jockel einen noch größeren Schreck einjagte.
»Lass ihn los!«, rief er und wollte wieder dazwischengehen. Helmuth verjagte ihn.
Die Tür flog auf, die Mutter kam herein, schlug die Hände vor den Mund. Sie sahen hilflos zu, wie Helmuth den Vater mit dem vorgestreckten Arm quer durchs Zimmer trieb, bis er mit einem dumpfen, harten Schlag gegen den Schrank prallte. Es klirrte laut darin. Helmuth drückte, als wäre sein Arm aus Eisen. Der Vater röchelte entsetzlich, langsam ging er in die Knie.
»Jetzt lass ihn doch!«, schrie Jockel.
Der Bruder hörte nichts. Der Vater atmete kaum mehr. Sein Gesicht war bläulich, die Lippen zitterten, die Augen traten aus den Höhlen. Er hatte beide Hände um Helmuths Arm gekrallt und wehrte sich vergebens.
»Helmuth, Junge!«, schrie die Mutter. »Er hat den Brief gefunden.«
»Nein«, rief Helmuth. »Du hast ihm den Brief gezeigt.«
»Nein, Junge. Bitte!«
»Der Brief lag in meiner Kiste und die steht auf dem Söller, das weiß der Vater gar nicht. Er hätte Siggis Briefe gar nicht finden können. Du hast mich verraten!«
Sie weinte.
Jockel ahnte, was geschehen war. Helmuths Freund Siggi Goldschnigg hatte einen weiteren Brief aus Hamburg geschrieben und Einzelheiten genannt, wie man dort zurechtkam. Helmuth wollte hin, er hatte sich entschlossen.
Helmuth starrte die Mutter an. »Hat Vater dich geschlagen?«
Sie schwieg dazu. Der Vater schüttelte mit letzter Kraft den Kopf. Jockel sah, wie sich seine Hände von Helmuths Arm lösten und niederfielen.
»Lass ihn jetzt los!« Jockel sprang Helmuth auf den Rücken und zerrte ihn zurück. Er wurde abgeschüttelt wie ein Hund.
Draußen hatte man den Lärm gehört. Der Pachtbauer des Grafen und zwei Knechte kamen vom Hof ins Zimmer. Sie packten Helmuth, sie brauchten dafür alle Kraft, und warfen ihn zu Boden. Der Vater rutschte an der Wand nach unten und blieb hechelnd auf den Dielen liegen.
Helmuth riss sich los. Die Männer konnten ihn nicht halten. Er spuckte vor dem Vater aus und rannte in das Nebenzimmer. Jockel hörte, wie er nebenan Schubladen herausriss, wie er fluchte, gegen etwas trat und weiterschimpfte. Er packte seinen
neuen Seesack. Auch davon wusste Vater nichts. Helmuth hatte ihn heimlich bei einem Fuldaer Händler gekauft. Nichts und niemand würde seinen Bruder mehr aufhalten können. Die Mutter wusste es genauso gut wie Jockel selbst. Sie weinte laut. Der Vater fasste sich an seinen Hals und hustete.
Als Helmuth in die kleine Stube zurückkehrte, wich jeder vor ihm zurück. Der Zorn stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er warf dem Vater den vollen Seesack vor die Füße.
»Weißt du, was das ist?«, fragte er und drehte sich kurz zur Mutter um. »Das ist meine Zukunft. Ich gehe weg. Und ich werde euch keine Träne nachweinen. Aber für mein Leben will ich euch danken. Danke, Vater, dass du uns von klein auf geprügelt hast. Darin warst du wirklich gut.«
Der Vater japste immer noch. Jockel fühlte Schwindel aufsteigen. Es fiel ihm furchtbar schwer, zu fassen, was er sah und hörte.
»Danke, Vater, dass du uns schon als Kinder frühmorgens aus dem Bett gescheucht hast und dass wir so lange schuften mussten, bis keine Kraft mehr für die Schule blieb. Danke, Vater, dass ich als Kind kaum jemals spielen durfte, und danke, Mutter, dass du den Vater immer emsig unterstützt hast. Wir sind eine großartige Familie geworden.« Jetzt sah Helmuth den Bauer Schlömer an der Tür stehen. »Und danke, Herr Pachtbauer, dass Sie mich als Bub eine Woche lang im Stall einsperrten, weil ich zwei
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