Blumen für den Führer
den Mund. »Oh, das wollte ich nicht, Reni!«
»Was für eine Bildersammlung?«, fragte Friederike und blickte Reni an. »Ich glaubte, wir seien Freundinnen. Ich habe dir alle meine Geheimnisse genannt und dachte, dass du mir vertraust. Du hast also eine Sammlung mit seinen Fotografien?«
»Aber ich vertraue dir doch, Friedel«, sagte Reni.
Janka fragte: »Habt ihr Streit?«
»Sei du gefälligst still!«, befahl Reni. »Das geht nur Friedel und mich etwas an.«
»Was denn überhaupt?« Janka ließ nicht locker.
»Es betrifft dich nicht!«, fauchte Reni. »Dich ganz sicher nicht, du blöde Göre!«
Sogar Waltraut war erschreckt.
»Reni, bitte!«, warnte Karin leise.
»Du halt auch den Mund!« Reni zitterte. »Ihr alle!«
Friederike stand auf. »Ja, wenn das so ist … Natürlich will sie mit uns nichts mehr zu tun haben, jetzt …«
»Ist es denn so schlimm, dass ich es verraten habe?«, forschte Hilde ängstlich nach. »Es war doch keine Absicht.«
» Keine Absicht! «, äffte Reni singend nach. Sie blickte wütend in den Himmel.
»Ach, mach dir keine Sorgen, Hilde.« Friedel war beleidigt. »Ich hatte Reni lediglich gebeten, mir bei einem Schulaufsatz zu helfen, und dafür hätte ich eine bestimmte Fotografie gebrauchen können. Reni hatte keine, gar nichts! Hat sie mir gesagt. So ist das manchmal mit Freundinnen, Janka, guck nicht so blöd!«
Bis auf Hilde und Reni gingen die Mädel sichtlich bedrückt ins Haus.
Reni stützte das Kinn auf beide Hände und starrte über den Hof zu den Remisen, wo man den Hausmeister rumoren hörte. Ein paar Hühner liefen kreuz und quer und gackerten.
Waltraut wartete darauf, dass Reni etwas sagte, aber sie schwieg beharrlich und Hilde ebenso. Eine Stimme drang aus dem Haus, verstummte. Dann klangen Töpfe oder Kellen blechern durch das Küchenfenster. Die Köchin lachte grob, und jemand klatschte in die Hände, sicher um die Katze zu verjagen.
»Es tut mir leid, Reni«, sagte Hilde.
Wie gerne hätte Waltraut sie jetzt unterstützt und Reni zugeredet, ihr zu verzeihen. Aber Reni schwieg, sah die Freundin nicht einmal an und schaute weiter auf den Schuppen, wo Herr Kiank mit einem abgezogenen Kaninchen ins Licht trat und es an den zusammengebundenen Hinterläufen an einen
Haken hängte, unter dem ein Eimer stand. Er schnitt es auf. Die Innereien klatschten auf den Zinkboden. Seine beiden Hunde schlugen an. Er hatte sie ein Stück entfernt an einen Pfahl gebunden.
»Es wäre aber schön, wenn du dem Führer deine Bildersammlung zeigen könntest«, bemühte sich Hilde erneut.
»Kannst du nicht einfach deine Klappe halten und verschwinden?«, rief Reni.
Waltraut merkte, wie sich ihr Herz zusammenzog.
Hilde stand auf und fragte: »Wo ist eigentlich Monika? Sie war gestern so still und blass.« Sie lächelte gekränkt und ging ins Haus.
Waltraut wartete, bis sie im Flur verschwunden war. Dann fragte sie: »Reni, sagst du mir, was du in Berlin erwartest?«
Reni hob den Kopf. »Es wird alles viel zu schnell vorübergehen. Ich habe ein bisschen Angst davor, dass gar nichts so sein wird, wie wir es uns vorstellen. Aber damit mache ich dumme Gans mir bloß die Vorfreude kaputt, glauben Sie nicht auch?«
Waltraut nickte. »Ich wünsche mir, dass du dich ein bisschen darauf freuen kannst. Du wirst ergriffen sein, da bin ich sicher.«
Reni lachte bitter. »Ich bin zu erwachsen, das weiß ich. Wo ist meine Kindheit geblieben? Ich verstehe so vieles nicht. Was bedeutet es zum Beispiel, wenn man uns sagt, dass wir jetzt wieder jemand sind in der Welt? Ich jedenfalls bin niemand in der Welt, das weiß ich: niemand Besonderes. Und dieser Niemand trifft den Führer.«
»Fräulein Niemand trifft den Führer«, sagte Waltraut. Sie mussten beide lachen. »Ich persönlich finde überhaupt nicht, dass du ein Fräulein Niemand bist.«
»Es ist so schön, wenn Sie mir Komplimente machen«, sagte Reni. »Vielleicht bin ich ja doch ein Glückskind.«
»Ganz bestimmt.« Waltraut blinzelte über den Hof und schaute zu, wie Kiank mit dem Ausnehmen fertig wurde und seinen Hunden ein paar blutige Brocken hinwarf. Sie balgten gierig und rissen sich die Fetzen gegenseitig aus der Schnauze.
Es fiel Waltraut plötzlich schwer, zu bleiben, wo sie war, und nicht auf der Stelle zu Reni zu gehen und die Arme um sie zu legen. Irgendetwas sagte ihr, dass Reni das Geheimnis kannte.
»Du weißt es, oder?«
Reni nickte. »Frau Misera hat es mir vorhin gesagt. Meine Tante Magda war die Schwester
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