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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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nicht wieder zum Dienst erschienen. Ein Feldposten habe ihn später aufgegriffen und identifiziert; von einer Bestrafung sei zum Glück abgesehen worden. Er, der Verfasser, hoffe, mit seinem Brief die zu erwartenden Probleme ein wenig lindern zu können für den Fall, dass der Unteroffizier Knesebeck nun wieder bei seiner Familie weile.
    Den Brief trug die Mutter bis heute in ihrer Küchenschürze bei sich. Der Vater war kein Vater mehr geworden und kein Ehemann. Er hatte in dem knappen Jahr in Grünberg weder die Erwachsenen noch seine Tochter irgendwie beachtet. Waltraut wusste nicht, ob er sie, sein Kind, überhaupt erkannt hatte. In der Nacht zum zwanzigsten November 1919 hatte er sich unbemerkt genauso angekleidet, wie er erschienen war, und auf einem Nachbarhof, mit einem Schleifstein um den Leib gebunden, in die Jauchegrube fallen
lassen. Erst im Sommer des folgenden Jahres war er von einem Knecht gefunden worden.
    Als Waltraut unten an die Bürotür der Leiterin klopfte, um sie über Friederike zu informieren und wegen Monika nachzufragen, wurde sie sofort hereingebeten.
    »Sie kommen wie gerufen, Fräulein Knesebeck«, rief die Misera, wies aber nicht wie sonst auf einen ihrer Besucherstühle, sondern ließ Waltraut stehen und blieb hinter ihrem Schreibtisch sitzen.
    »Herr Kiank war soeben bei mir und behauptete, Monika Otten habe sich drüben in der Remise versteckt und traue sich nicht ins Haus. Sie hätten ihr gedroht, sie äußerst empfindlich zu bestrafen. Warum weiß ich davon nichts?«
    Waltraut war so verblüfft, dass sie einen Moment um Fassung rang.
    Die Misera sah sie an. »Ich höre.«
    »Ich war eben im Begriff, Sie nach Monika zu fragen«, sagte Waltraut. »Ich komme von Friederike, die mit Fieber im Bett liegt und heute Nachmittag nicht wird mitarbeiten können.«
    »Irgendetwas muss doch wohl passiert sein. Ich glaube nicht, dass Herr Kiank sich das ausdenkt, Fräulein Knesebeck.«
    »Aber Sie wissen doch, dass ich zu allen Mädchen ein gutes Verhältnis habe.«
    Die Misera stand auf und kam aus der Deckung ihres Schreibtisches hervor. »Als Erzieherin hat man eine gewisse Macht über die Kinder, das muss ich Ihnen nicht erklären. Herr Kiank wird seine Behauptung nicht einfach erfunden haben, und es fällt mir schwer, zu glauben, dass Monika lügt. Aus welchem Grund denn bitte?«
    »Ich weiß es nicht, Frau Misera«, sagte Waltraut. »Wir können
gemeinsam zu Friederike hinaufgehen, damit sie Ihnen bestätigt, dass ich …«
    »Eine gewisse Macht, sagte ich«, unterbrach die Leiterin sie, »und einen gewissen Einfluss auf jedes der Mädel, um die eigene Stellung zu festigen.« Sie machte einen spitzen Mund. »Sollte das System einmal durchlässig werden …«
    »Was für ein System?« Waltraut fühlte Wut aufsteigen.
    »Wir arbeiten hier auf der Grundlage von Vertrauen und Ehrlichkeit«, sagte die Misera und legte ihre Hände ineinander. »Das bedeutet, dass ich mich darauf verlassen können muss, dass meine Erzieherinnen die Mädel korrekt behandeln. Ich will mir nicht den Kopf darüber zerbrechen müssen, ob das zutrifft. Und ich schätze es nicht, wenn meinen Anordnungen nicht Folge geleistet wird.«
    »Wie bitte?«
    »Schweigen Sie gefälligst, wenn ich rede! Das Vertrauen macht es überflüssig, irgendetwas nachzuprüfen, Stichproben vorzunehmen, Fragen zu stellen. Wenn eine Erzieherin den gegenseitigen Vertrauensvorschuss missbraucht, müssen wir uns selbstverständlich von ihr trennen. Es wäre dies keineswegs der erste Fall, wie Sie wissen, und es wird nicht der letzte bleiben. Allerdings habe ich mir vorgenommen, das Klima unseres Hauses so zu modifizieren, dass die Fälle in Zukunft selten werden.«
    Waltraut war sprachlos.
    »Ich habe mir erlaubt, ein Schreiben aufzusetzen, in welchem Sie um die sofortige Entbindung von allen Pflichten ersuchen. Ich gehe davon aus, dass dies in Ihrem Sinne ist, zumal ich mich bemühe, nicht tiefer in die vorliegenden Verhältnisse zu blicken, von denen ich sicher bin, dass eine Offenlegung nur noch mehr Nachteile für Sie mit sich bringen
würde.« Sie wandte sich um, nahm ein Kuvert vom Schreibtisch und hielt es Waltraut entgegen.
    Waltraut tat einen Schritt zurück. »Es tut mir leid, Frau Misera. Natürlich werde ich dieses Schriftstück nicht entgegennehmen, bevor ich nicht mit Monika Otten gesprochen habe. Dafür werden Sie Verständnis haben.«
    »Was erlauben Sie sich! Ziehen Sie meine Autorität in Zweifel?«
    »Ich glaube nicht, dass

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