Blumen für den Führer
Es ist eine sehr besondere Zeit in deinem Leben. Du bist nicht wie andere Mädchen, gewöhne dich frühzeitig daran und vergiss es nicht.«
Draußen gab er dem Kutscher die erforderlichen Anweisungen. Fräulein Dohm machte wieder ihren flüchtigen Knicks und lächelte. Reni sah, wie sie die Lippen bewegte, und hätte beinah so etwas wie »Komtesse« herausgelesen. Aber das war natürlich dumm und eingebildet und sowieso nicht wahr.
»Grüße bitte Frau Misera und sage ihr, dass wir übermorgen noch einmal ganz genau nachdenken werden, wie wir uns vorbereiten können. Wir überlassen nichts dem Zufall.«
Draußen begann es zu nieseln. Reni bedankte sich von Herzen. Der Hengst scheute, der Kutscher redete mit ihm und zog das Stoffverdeck über den Sitz. Reni kletterte hinein.
»Und selbstverständlich wirst du Medizin studieren«, sagte der Graf und Vater. »Wir werden dafür sorgen. Ich wünsche eine gute Fahrt. Und vergiss den Namen nicht: Viktoria von Dirksen. Aber du wirst auch Frau Doktor Miegel* kennenlernen, die große Dichterin, und viele andere bedeutende Persönlichkeiten.«
Der Kutscher schnalzte. Reni winkte, solange sie den Vater sah. In der Hand hielt sie den Umschlag mit der kostbaren Fotografie.
Zu beiden Seiten wehte der feuchte Wind herein. Reni nahm es kaum wahr. In Gedanken durchlebte sie jede Minute des Besuchs noch einmal. Sie freute sich darauf, es Fräulein Knesebeck zu schildern, auch der Leiterin natürlich, vor allem auch den Freundinnen. Sie würden neidisch werden, aber was konnte sie dafür? Wenn es stimmte, dass sie nicht wie alle anderen war, würde sich Neid gar nicht vermeiden lassen.
In einer langen Kurve sah sie draußen im Feld jemanden auf einer Mauer sitzen. Als sie näher kamen, erkannte sie Jockel, den Jungen von der Feldarbeit. Er war regennass, schien aber kein Interesse zu haben, ins Trockene zu gelangen.
Sie bat den Kutscher anzuhalten.
»Was tust du hier?«, rief sie aus dem Wagen. »Können wir dich ein Stück mitnehmen, bis zur Abzweigung zum Schlömerhof vielleicht?«
Sogar auf die Entfernung sah sie, dass er betrübt war. Die Nässe schien ihm völlig egal zu sein.
»Nun sag was!«, bettelte sie.
Er zuckte die Achseln. »Ich kann nicht mehr nach Hause.«
»Warum?«
»Darum.«
»Das ist kein Grund.«
»Der Grund ist gut genug.«
»Willst du vielleicht dort sitzen bleiben?«, rief sie ihm zu. »Das erlaube ich nicht.«
»Ach!«
»Du wirst krank.«
»Umso besser.«
Kurz entschlossen stieg sie aus und ging die paar Schritte zu ihm hin. »Der Wagen gehört dem Grafen. Ich kann dich mitnehmen.«
»Lieber nicht.« Er sah sie traurig an.
»Ich lasse aber nicht zu, dass du krank wirst.«
»Heute Morgen hättest du mir noch helfen können, oder neulich in dem Feld, vor einem Monat, vor einem Jahr. Jetzt nicht mehr.«
»Das verstehe ich nicht. Steig bitte ein! Du machst mich ganz traurig.«
»Das will ich nicht«, sagte er. »Fährst du weiter, wenn ich dir verspreche, dass ich weitergehe und mir ein trocknes Plätzchen suche?«
Sie verstand nicht, was er meinte. »Genau das biete ich dir doch an.«
»Aber gerade das kann ich nicht annehmen. Du wirst es noch verstehen.«
Sie zögerte. Sie mochte nicht zum Wagen zurückgehen, konnte aber auch nicht länger bleiben.
»Ich fahre!«, drohte sie.
Er marschierte los. Freilich in die falsche Richtung.
»Dort entlang geht es zum Schlömerhof!«, rief sie ihm nach. Er drehte sich kurz um und winkte.
Reni stieg auf. Der Kutscher schnalzte. Sie lehnte sich hinaus
und blickte zurück. Der Junge drehte sich nicht um und lief weiter durch die graue Nässe. Er nahm ihr alle Freude, dieser dumme Kerl. Hinter einer Biegung sah sie ihn nicht mehr.
Minenleger U 64
F riederike saß aufrecht im Etagenbett, ansonsten war der Schlafsaal leer. Sie fasste unter ihre Decke, holte das Thermometer hervor und zeigte es her. Waltraut nahm es, las.
»Neununddreißig vier.« Sie fühlte Friederikes Stirn. »Am besten, du bleibst liegen.« Das Gesicht war ziemlich heiß.
»Ich verpasse aber Reni, wenn sie zurückkommt«, jammerte das Mädel.
Waltraut schüttelte den Kopf. Sie war noch abgelenkt, sie dachte an zu Hause. Die Erinnerung verfolgte sie. Ein Ereignis, das sich zugetragen hatte, als sie vier Jahre alt gewesen war.
»Ich will nicht, dass du dich noch mehr erkältest. Deck dich bitte zu«, sagte Waltraut und setzte sich aufs Bett. Friederike schmollte.
Die Bilder kehrten immer wieder. An einem kalten
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