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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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erste Stufe, stieg hoch, vergaß vor lauter Angst die Furcht, entdeckt zu werden. Er fühlte Scherben, einen Kochtopf, etwas Weiches, hingeworfene Tücher offenbar oder gar Kleider? Wieder Teile von zerbrochenem Geschirr. Dann Holz, es war die Tür. Und sie war nicht verschlossen.
    Er drückte sie nach vorne. Auch hinter der Tür schien allerhand zu liegen, etwas schabte über den Boden. Er blickte durch den Spalt ins Zimmer.
    »Frau Goldschnigg?«, sagte er so leise, wie es sich gebot.
    Im Dämmerlicht hoben sich Umrisse ab. Es waren umgestürzte Möbel! Er schob die Tür ganz auf, trat in das Zimmer und fühlte, wie sich sein Herz zusammenzog. Es ist das falsche Haus, dachte er einen Augenblick und fragte sich, ob seine Erinnerung stimmte. Aber er wusste gleich, dass alles passte: die zwei kleinen Fenster mit Blick zur Straße, die andere Tür, die auf einen Flur hinausführte, von dem aus die Straße und eine Nachbarwohnung zu erreichen waren. Und dann der Wandbehang, den er jetzt sah und gleich erkannte, weil darauf Pyramiden und dahinter die erschreckend leere Wüste waren.
    Plötzlich wurde ihm bewusst, wie hell es in der Zwischenzeit geworden war. Eines der Fenster war eingeworfen worden, ein Schrank lag bäuchlings auf dem Boden – es war so unbegreiflich -, und vor allem: Wo war Siggis Mutter? Und wusste Siggi im fernen Hamburg, was hier vorgefallen war?
    Es wird zu hell!, schoss es Jockel durch den Kopf.
    Er musste jetzt zurück, durch den Keller in den Garten, um unbemerkt über den Zaun und zu den Haselsträuchern zu
gelangen. Er wandte sich zur Treppe und hörte ein Geräusch, erstarrte, duckte sich. Stimmen, Schritte, die durch das zerschlagene Fenster hereindrangen. Er atmete nicht mehr. Er zwang sich zu begreifen, dass nicht er gemeint sein konnte. Also Ruhe und Geduld! Er atmete so schwach, dass sich die Brust einschnürte. Endlich entfernten sich die Stimmen.
    Er stand auf und setzte einen Fuß vor den anderen, wie auf dünnem Eis. Die Scherben knackten wieder, unvermeidlich. Noch eine Stufe und die letzte noch und vorne war die Tür!
    Was war passiert?
    Er huschte durch die Tür zurück in den Garten, sah den Lattenzaun in der Entfernung. Wohin sollte er sich von dort aus wenden? Wie sollte er ohne Frau Goldschniggs Hilfe die Nachricht an seine Mutter übermitteln? Er brauchte Kleidung, Essen. Er sah, wie seine letzte Chance zusammenschmolz. Er würde es nicht schaffen! Diese Einsicht schlug mit Fäusten auf ihn ein, so jäh und grob, dass er mit einem Mal den Mut verlor, mit dem er hergefunden hatte. Kurz vor dem Zaun ließ er sich ins Gras fallen. Und gab sich auf. Nicht einmal heulen konnte er.

Nächtliche Erzählungen
    R eni machte sich Sorgen, sie hatte kaum mehr Freude an dem großen Glück. Es war so viel passiert. Man suchte Jockel überall. Als am Abend die Polizei nach Ulmengrund gekommen war, um alle Mädel zu befragen, wie Frau Misera angenommen hatte, entstieg Monika dem Auto, gab der Leiterin
keine Antwort auf deren Fragen und war auf der Stelle ins sogenannte Strafzimmer im Speicher des Hauses geschickt worden, wo sie hinter verschlossener Tür die Nacht verbringen musste.
    Reni saß auf einem Stuhl neben Friedels Bett und wahrte den versprochenen Abstand zu der Kranken. »Mein Vater ist Arzt, meine Mutter ist Krankenschwester. Sie arbeiten in Afrika im Urwaldhospital von Doktor Schweitzer. Leider haben sie nie Zeit für mich. Aber so ist es eben manchmal.« Sie merkte jetzt, dass Friedel sie erkannte. Sie lächelte sogar ein bisschen.
    Der Arzt aus Gersfeld war gekommen, hatte sie untersucht und ihr eine Injektion gegeben. Dann hatte er veranlasst, dass sie aus dem Schlafsaal in eines der ruhigen Zimmer im Parterre verlegt wurde. Bevor der Arzt gefahren war, hatte er noch empfohlen, Friedel nicht allein zu lassen und ihr auch weiterhin feuchte Tücher auf Stirn, Beine und Arme zu legen.
    »Stell dir bloß vor«, erzählte Reni weiter, weil es ihr Freude machte. »Der Dampfer mit dem Wellblech ist nun wirklich am Kap Lopez angelangt, und dort wird nun alles in vier große Einbäume umgeladen, mit denen es den Ogowe-Strom flussaufwärts gebracht wird. Die Fahrt ist sehr gefährlich, weil die Kanus in den Stromschnellen hin- und herschwanken. Die schwarzen Ruderer haben Angst vor Nilpferden, die so ein Boot mit Leichtigkeit zertrümmern und die Menschen töten können. O je, wenn so etwas passieren würde, die armen Neger … und dann die Ladung, die sich gewiss nicht wieder bergen

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