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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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lieben Eltern. Mir erklärt man die aktuelle Politik, mein Vater weiß auf diesem Gebiet selbstverständlich Bescheid. Er ist immer informiert.«
    »Toll«, sagte Friedel. »Wie du diese Worte findest, Reni.« Sie musste wieder husten. Dann fragte sie plötzlich: »Was soll der Jockel denn getan haben?«
    »Jemand hat einen Knecht vom Schlömerhof tot aufgefunden, und dieser Zeuge hat gesehen, wie Jockel und der Knecht miteinander gekämpft haben. Sie waren alle drei beim Grasmähen und hatten Sensen.«
    »Mit einer Sense?«
    »Jockel hatte Angst, als ich ihn gesehen habe. Ich glaube, so eine ganz schlimme Angst. Es regnete und ich kam von Gut Haardt zurück und wollte ihn ein Stück im Wagen meines Vaters mitnehmen. Da ist er weggerannt.«

    »Seltsam, dass so viele Dinge auf einmal passieren«, sagte Friederike. Sie fasste Renis Hände und führte sie an ihr Gesicht. Als sie wieder husten musste, zog Reni ihre Hand zurück.
    »Sollen wir noch einmal den Arzt anrufen?«, fragte sie.
    Friederike schüttelte den Kopf. »Ich möchte niemand sehen, schon gar nicht Frau Misera. Reni, erzähl mir mehr von unserm Führer. Wonach riecht er? Sein Blick, Reni, du musst mir alles erzählen …« Sie zwang den Hustenreiz mit Mühe nieder. Dann fuhr sie fort: »Und du musst ganz nah an ihn herangehen, wenn du ihn triffst, hörst du? Bitte! Sieh ihn dir ganz genau an! Seine Augenbrauen, die Farbe der Lippen dicht über dem Bärtchen, das strenge, glatte Haar, das Augenweiß, Reni, alle Äderchen, verstehst du, und vor allen Dingen seine Hände und der heilige Blick …!« Sie stockte und musste wieder husten. Reni reichte ihr ein frisches Tuch.

Im Strafzimmer
    W altraut lag in ihrem Bett und konnte keine Ruhe finden. Sie konnte sich nicht erinnern, je in ihrem Leben so enttäuscht worden zu sein. Seit Mittag hatte sie Kopfschmerzen, die einen störenden Druck hinterließen. Ihr ganzer Körper bebte leise, wenn sie in sich horchte, jetzt im Bett – wissend, dass es ihre letzte Nacht in Ulmengrund sein würde.
    Sie war mit ganzem Herzen Erzieherin, und es tat ihr weh, mit anzusehen, wie sich alles zum Schlechten veränderte.
Eine Pädagogik, die sich damit hervortat, Kinder in die Kategorien »ausmerzereif«* und »förderungsbedürftig« einzuteilen, war überhaupt keine Erziehungslehre. So gesehen waren die Mädel von Haus Ulmengrund eigentlich Glückskinder, wenn man einmal davon absah, dass die meisten keine Eltern hatten.
    Sie hatte also ihre Anstellung verloren; die Misera hatte ihr gekündigt, sie vor die Tür gesetzt und rausgeschmissen. Die Leiterin wollte sie loswerden, weil es ihr nicht gefiel, wie sie mit den Mädchen umging.
    Waltraut machte sich Sorgen um Monika, die oben alleingelassen im »Strafzimmer« hockte und offenkundig von schweren Sorgen geplagt wurde – das hatte jeder gemerkt, als sie vorhin von der Polizei nach Hause gebracht worden war und kein Wort redete. Waltraut wurde das Gefühl nicht los, dass die Misera wusste, was mit Monika passiert war, und es mit allen Mitteln unter den Teppich kehren wollte. Sie hatte das Mädel wie eine Verbrecherin nach oben geführt, und Waltraut hatte sie begleitet, was der Leiterin spürbar nicht gefallen hatte. Beim Verlassen des Strafzimmers hatte Waltraut Monika ein Zeichen gegeben, dass sie später wiederkommen würde. Was leichtsinnig gewesen war, da sie kurz zuvor all ihre Schlüssel Hausmeister Kiank hatte aushändigen müssen. Als er später im Hof arbeitete, war sie im Keller in sein heiliges Werkstattreich eingedrungen und hatte sich einen kräftigen Schraubendreher und eine Zange ausgeborgt.
    Jetzt machte sie das Licht an und zog den Morgenmantel über. Dann nahm sie das Werkzeug und verließ ihr Zimmer so geräuschlos, wie es eben ging.
    Im Haus war es still. Sie schloss die Tür und ging zum Treppenhaus, stieg ins Dachgeschoss und klopfte leise an.

    »Monika, ich bin es, Waltraut Knesebeck. Ich wollte doch wiederkommen und dich nicht alleine lassen. Leider habe ich keinen Schlüssel mehr. Bitte, erschreck dich nicht!«
    Sie setzte die Spitze des Schraubendrehers in den Türschlitz und hebelte. Es splitterte, die Tür sprang sofort auf.
    Drinnen war es dunkel. Waltraut schaltete die nackte, schwache Glühbirne an der Zimmerdecke ein. Das Mädchen lag reglos und eingerollt auf der Matratze und trug noch seine verschwitzten Kleider. Waltraut lehnte die Tür an und setzte sich auf den Rand des Eisenbetts. Monika zitterte und wimmerte ganz leise.
    »Ist dir

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