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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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Und wirklich war das Mädchenpensionat die erste Zeit ein Schutzraum gewesen. Bis der neue Geist auch dort durch alle Fugen eingezogen war. Ganz unmerklich, denn es war kaum zu sagen, was eigentlich geschah. Gab es eine neuartige Unnachsichtigkeit, wenn sich eines der Kinder einen Fehltritt geleistet hatte und Frau Misera nicht müde wurde zu erklären, dass im Kleinen und scheinbar Unbedeutsamen schon der Verlust der Ordnung lauere? War es solcher Unsinn, über den sich Waltraut womöglich nicht rechtzeitig Gedanken gemacht hatte? Und hatte sie es gefährlich unterschätzt, dass ein Mann wie Kiank bei solchen Reden hellhörig wurde, Beifall zollte und daran zu wachsen schien?
    Das Zimmerchen, in dem sie nun saß und wartete, wirkte nicht, als ob jemand darin wohnte.
    Es gab zwei schlichte Stühle, einen wackelnden Tisch, und an einer schmucklosen Wand lehnten aufrecht hingestellt zwei Pritschen, auf denen man womöglich schlafen konnte. Sie sah einen Messingwasserhahn, darunter hing ein bauchiges Blechbecken. Einen Schrank oder eine Kommode gab es ebenso wenig wie Gardinen an dem schmalen Fenster, das mit einem festen Tuch verhängt gewesen war, als sie den Raum im Dämmerlicht betreten hatten. Auf dem Boden stand eine Gaslampe, die Korff jedoch nicht entzündet hatte. Waltraut hatte lediglich, nachdem er fortgegangen war, das Tuch von dem Fenster genommen und das Morgenlicht hereingelassen.
    Seither saß sie auf einem der Stühle, schaute aus dem Fenster und wartete darauf, dass Korff wiederkehrte. Sie würde ihn fragen, wohin sie sich für eine vorübergehende Unterkunft
wenden konnte. Eine Pension vielleicht, fürs Erste. In diesem Zimmer jedenfalls wollte sie nicht länger bleiben.
    Draußen war es hell geworden.
    Das Fenster offenbarte einen düsteren Hinterhof, in dem kein Grashalm wuchs. Der Ausblick stimmte sie noch trauriger. Sie hörte Korffs Gespann, bevor es in den Hof einfuhr. Sie war erleichtert. Es hatte vorhin ein paar Momente gegeben, da waren Zweifel aufgeblitzt, ob er überhaupt zurückkehren würde. Die Möglichkeit, dass etwas Unerwartetes passierte, bestand immer. Das Motorrad konnte kaputtgehen, Korff selbst hätte aufgehalten werden können, von wem und aus welchem Grund auch immer. Schon im Hinausgehen begriffen, hatte er etwas Unverständliches aus dem Treppenhaus zurückgerufen: »Schwarzerden« und »schlimme Sache« und »Polizei«.
    Die Häuserwände warfen den Motorlärm herauf und plötzlich war es wieder still. Waltraut sah, wie jemand aus dem Beiwagen kletterte. Korff wartete, bis sein Fahrgast ausgestiegen war. Es war ein Junge. Sie gingen zur Eingangstür. Ihre Schritte knarzten im Treppenhaus. Waltraut hörte, wie die beiden flüsterten.
    Sie ging zur Zimmertür und öffnete, bevor die beiden oben angelangt waren. »Sagen Sie bitte, Herr Korff«, fragte sie sogleich. »Verstecken wir uns hier? Sind wir in Gefahr?«
    Korff schüttelte den Kopf. »Sehen Sie nur, ich hab uns einen echten Mörder mitgebracht. Ist das nicht Grund genug, sich zu verstecken?«
    Waltraut war erstaunt. »Ist das der Junge …?«
    »Das ist er. Jockel, fünfzehn Jahre alt und unser Bösewicht und überall gesuchter Totschläger.« Er schob den Jungen vor sich her.

    Sie traten ein. Korff schloss die Tür.
    »Als Ihre ehrenwerte Vorgesetzte oder ehemalige Vorgesetzte mir den Auftrag erteilte, Sie mitten in der Nacht von Ulmengrund abzuholen, war mir sofort klar, dass es sich nicht um einen Sommerausflug handelt, zu dem Sie besonders früh aufbrechen wollten. Ich frage nicht nach, wenn ich einen Auftrag erhalte, warum, wieso, weshalb. Gott bewahre. Die Misera hat mir die Antwort auch ohne Frage gegeben. ›Sagen Sie ihr‹, meinte sie zu mir … ›Sagen Sie dem Fräulein Knesebeck, es möchte zufrieden sein mit dieser Lösung.‹« Er zuckte mit den Schultern. »So hat sie es ausgedrückt: mit dieser Lösung. ›Sagen Sie ihr‹, ich zitiere, ›dass wir auch durchaus eine andere Variante hätten wählen können. Nämlich die mit dem Automobil statt des Gespanns‹. Verstehen Sie?«
    Waltraut war bleich geworden.
    Jockel hatte den Wasserhahn gesehen und sofort das Gesicht darunter gehalten. Er hörte gar nicht auf zu trinken.
    »Das Unglück dieses jungen Raben hier besteht darin«, fuhr Korff fort, »dass seine Sense zum falschen Zeitpunkt an der falschen Stelle auf dem Boden lag.«
    Jockel wischte sich spuckend das Gesicht.
    Korff nahm eine der Pritschen von der Wand weg und stellte sie auf.
    »Komm,

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