Blumen für den Führer
Marittimo zusammen am Kai gelegen: U64 und unser Kahn. Nicht lange vor Kriegsende. Ich erinnere mich, dass er erzählte, er habe daheim eine Familie, eine kleine Tochter. Er war sehr stolz und konnte kaum erwarten, dass es vorüber war, obwohl man so etwas damals besser nicht laut sagte. Er hatte eine sehr angenehme Art, ruhig und besonnen.«
Waltraut musste aufstehen und wandte sich zum Fenster. Er sagte »Verzeihung« und schwieg sofort.
Noch einmal zogen ihre Erinnerungen vorbei. Die wenigen bewegungslosen Bilder, bedrückte Stimmungen, weil es dem Vater schlecht ging und man Rücksicht nehmen musste. Die ganze Wohnung hatte mit ihm geschwiegen, und es war Waltraut manchmal vorgekommen, als wäre sogar das Atmen nicht erwünscht gewesen.
»Der Krieg lässt die Seele so wortkarg werden wie ein Logbuch«, sagte Korff nach einer Weile. »Wir haben Minensperren geworfen und unter Wasser darauf gewartet, dass feindliche Schiffe hineinlaufen, in die Luft fliegen und sinken. Unsere Erfolge haben wir in Tausend-Tonnen Wasserverdrängung notiert, nie in Tausend-Menschenleben. Wir nannten unsere Boote schwimmende Särge. Man schlief nie richtig. Tagsüber schlichen wir dicht unter den Wellen herum und hielten Ausschau nach dem Feind, nachts schwammen wir über Wasser, aber die Maschinen liefen, mit denen wir unsere Akkumulatorenbatterien aufladen mussten, um am Tag tauchen zu können. Wir legten die Minen, und die feindlichen Minensuchboote spürten sie wieder auf, und irgendwann begreift man, wie sinnlos das alles ist. Aber dann ist es zu spät.« Er zögerte. »Eins weiß ich aber mit Sicherheit: Einen neuen Krieg stehe ich nicht durch … so einen Rattenküttelkrieg.«
Er lachte bitterernst.
Waltraut wischte sich die Augen. Sie dankte Korff abermals und gab ihm die Hand. »Passen Sie bitte auf sich und ihn auf!« Sie deutete auf Jockel, der fest und friedlich schlief.
Dann ließ sie sich den Weg zu der Pension schildern und nahm ihre beiden Taschen in die Hände. Korff hielt die Zimmertür auf und wünschte ihr viel Glück. »Das brauchen wir besonders, fürchte ich.«
Sie trat auf den Flur hinaus.
Die Treppe lag im Halbdunkel. Draußen rief jemand einen Namen. Leni. Oder Reni? Sofort sprangen ihr die Mädel in den Sinn. Friederike würde hoffentlich gesund werden. Aber wer half Monika in ihrem Unglück? Was wird Reni tun und fühlen, wenn sie in Zukunft bei ihrem fremden Vater lebt, und
was empfindet sie in ein paar Tagen in Berlin? Was wird sie fühlen, wenn sie vor dem Führer steht?
Die Dichterin
F rau Doktor Miegel, darf ich Ihnen meine Tochter Renate vorstellen«, sagte der Vater, nahm die ihm entgegengehaltene Rechte der älteren Dame und deutete einen Handkuss an.
Reni knickste gut geübt. Sie bebte innerlich und war noch nie so aufgeregt gewesen. Bereits in Fulda, vor der Abfahrt auf dem Bahnhof, hatte sie das allgemeine Klima überwältigt. Für den Olympia-Sonderzug hatte man den Bahnsteig mit einem Fahnenmeer geschmückt. Unter dem Regendach hingen Transparente und Girlanden. Eine Volksschulklasse flocht aus Fichtenzweigen fünf große Ringe, die mit Buntpapier umwickelt wurden. Zeitungsjungen schrien, und als der Zug einfuhr, spielte eine Blaskapelle mit Fanfaren.
In den vergangenen Tagen hatten der Vater und Reni daheim bis zur Erschöpfung immer wieder ausprobiert und durchgesprochen, was in Berlin im Stadion passieren würde. Reni war mit Frau Miseras Einverständnis erst gar nicht wieder nach Ulmengrund zurückgekehrt. Der Fahrer hatte ein paar ihrer Sachen aus dem Pensionat geholt. Vor dem Führer knicksen hatte sie allein geübt, dann auch vor dem Vater, der alles bis ins Kleinste begutachtet und bewertet hatte.
Frau Doktor Miegel grüßte freundlich. Ihre Züge waren offen und zugewandt. Sie hatte schön geformte Augen.
Der Vater und die Dichterin kannten sich flüchtig. Sie dankte ihm umständlich für seine Einladung, hier in Halle zuzusteigen und den Rest der Strecke bis Berlin als Gast in seinem eigenen Abteil zurückzulegen. Es war ein festlich geschmückter Sonderzug des Norddeutschen Lloyd . Eine Erste Klasse war nicht vorgesehen, und es war schwierig gewesen, den Kondukteur in Fulda davon zu überzeugen, dass die Anwesenheit einer reichsweit hochgeschätzten und überall bekannten Dichterin es unabdingbar mache, das Abteil zu reservieren und ab Halle für »Normalreisende« zu sperren. Aber der Vater hatte es geschafft.
Und nun stand die Dame auf dem Hallenser Bahnsteig. Ein
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