Blumen für den Führer
klopfen bei ihr an, sie gibt Medizin aus. Sie achtet darauf, dass die Tropfen richtig eingenommen werden, dass man die Tropfen richtig zählt, was nicht so einfach ist, denn Negerbuben kennen keine Zahlen. So ist sie auch noch Lehrerin. Die Kleinen lieben sie und können morgens kaum erwarten, dass der Unterricht beginnt. Auch Taschenmesser ist dabei, das Äffchen.
Als ihr das Äffchen wieder einfiel, wurde Reni klar, wie viel sie log. Der Führer hatte sie nicht eingeladen, er hatte kein Wort mit ihr geredet.
»Darf ich Sie etwas fragen?« Reni wartete, bis Fräulein Knesebeck sie ansah. »Kann etwas die Wahrheit sein, auch wenn es eigentlich eine Lüge ist? Glauben Sie nicht auch, dass das, was ich vom Führer berichte, wichtiger ist als die Frage, ob ich wirklich mit ihm gesprochen habe?«
»Ich glaube, dass mein Vertrauen in dich durchaus davon abhängt, ob du selber glaubst, was du erzählst. Hat dich der Führer wirklich eingeladen?«
Reni merkte, dass sie rot wurde.
Sie fühlte sich schrecklich. Dann raffte sie den Mut zusammen. »Er hat gar nicht mit mir geredet, er hat kein einziges Wort gesagt. Er hat den Strauß genommen und mich nur kurz angesehen, dann war schon alles vorbei. Aber das kann ich doch nicht erzählen. Mein Vater war in dem Moment ein Stück entfernt, wissen Sie? Er wäre sehr enttäuscht. Und Frau Misera und die Mädel!« Reni fühlte sich, als hätte sie etwas sehr Schlimmes angestellt. Dann fügte sie hinzu: »Ich schäme mich ein bisschen. Nicht ein bisschen, sondern sehr.«
»Es ist gut«, sagte die Erzieherin, »dass du Wahrheit und Erfindung noch gut auseinanderhalten kannst. Also sei nicht so streng mit dir und gräme dich nicht so viel.«
»Aber nur der strenge Mensch ist gut«, erwiderte Reni. Alle wichtigen Menschen und Helden waren streng, streng mit sich und anderen, das hatte sie gelesen. Wenn sie ehrlich mit sich selbst war, hatte sie die ganze Zeit geahnt, dass ihr Lügen und Erfinden nicht richtig war. »Muss man nicht immer so lange in sich hineinforschen, bis man sicher ist, dass man sich und andere nicht belügt? Wenn ich das bloß immer wüsste!«
»Das sind sehr schwere Worte, Reni«, sagte Fräulein Knesebeck. »Ich denke, dein Vater wäre sehr einverstanden, wenn er wüsste, dass du so unbedingt ehrlich sein möchtest.«
Die Worte halfen ihr durchaus.
Sie sagte Danke. Ihr Stolz jedoch, auf alles, auf das Zimmer, ihre Ordnung, auf den Vater – dieser wunderbare Stolz, den sie soeben noch empfunden hatte, war getrübt. Deshalb
war sie traurig. Sie war wütend, unsicher, was sie weiter sagen sollte. Ihr stiegen Tränen in die Augen.
Sie schaute weg und ging zum Fenster, kniff sich in den Arm, um das Gefühl vor Fräulein Knesebeck, so gut sie konnte, zu verbergen.
»Dabei freue ich mich doch«, sagte sie leise. »Ich verstehe mich nicht, ich verstehe nicht, was ich fühle. Es tut weh.« Sie drehte sich um, ging auf Fräulein Knesebeck zu und ließ sich in deren Arme fallen. Sie hielt sich an ihr fest und freute sich, als sie merkte, dass sie selber festgehalten wurde. »Ach, ich wünschte mir, dass Sie hierbleiben könnten.«
Reni hatte plötzlich Lust, sich wie ein Kind zu fühlen. Ein bisschen glitt die Schuld des Lügens von ihr ab, sie presste sich noch fester an die junge Frau und ließ sich drücken, zärtlich hin und her drehen. Kindlich, mütterlich. Sie standen eine Weile fest umschlungen da, in der Stille und im Licht des Zimmers.
»Reni, wir gehen jetzt nach unten zu deinem Vater. Ich spreche mit ihm allein. Ich habe mir vorgenommen, mich bei ihm wegen Frau Misera zu beklagen. Ich will auch Jockel nicht vergessen. Dein Vater soll nicht länger denken, dass der Junge ein Mörder ist. Es war ein Unglücksfall.«
Reni drückte sie noch einmal fest. Dann gingen sie zur Tür. Reni fühlte sich von Neuem stolz. Sie war erleichtert, froh, beinah beschwingt.
Auf der Treppe blieb sie stehen und griff nach der Hand ihrer neuen Freundin. In der Eingangshalle stand Fräulein Dohm und schaute hoch. Reni hielt die Hand fest und drückte sie, um der Erzieherin Zuversicht zu geben.
»Ich zeige Fräulein Knesebeck nachher die Stallungen«, erklärte sie. »Jetzt redet sie mit meinem Vater. Ich gehe zu den Pferden.« Sie schaffte es, die Stimme fest und laut klingen
zu lassen, so wie der Vater es sich wünschte. Sie wollte keine Schwäche zeigen, nicht in der Gegenwart von Angestellten und Bediensteten.
Sie waren unten angekommen und standen vor der schweren
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