Blumen Für Sein Grab
dass ich mir diesen Dorn unter einem Mikroskop ansehen möchte!« Meredith begann unruhig zu werden.
»Warum? Was stimmt nicht damit?« Sie starrte auf das kleine spitze Ding. Es war eine gemeine, fast fünf Zentimeter lange Nadel, dick an einem Ende und am anderen dünn und spitz, obwohl die Spitze selbst beschädigt schien.
»Nichts, was ich jetzt schon sagen könnte. Ich bin einfach neugierig. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Dieses Ding ist sehr stabil und kein bisschen biegsam. Es sieht aus, als könnte es von irgendeinem Wüstenkaktus stammen oder irgendeiner anderen wilden Pflanze, jedenfalls keine kultivierte Sorte mit kleineren, schwächeren Dornen. Eine Kaktusfeige vielleicht. Ich wünschte, ich wüsste mehr über diese Pflanzen.« Er faltete das Taschentuch über dem Dorn zusammen und steckte es vorsichtig zurück in die Manteltasche. Meredith war müde und ausgelaugt, und die Tragödie wurde mehr und mehr zu einer Plage, die ihr gesamtes Privatleben durcheinander zu werfen drohte. Ohne ihre eigenen Befürchtungen recht zu verstehen, sagte Meredith düster:
»Die Dinge sind schlimm genug, Alan. Mach sie nicht noch schlimmer.«
Obwohl sie nach einem erschöpfenden Tag erst sehr spät zu Hause ankam und obwohl sie am nächsten Morgen früh aufstehen musste, fand Meredith einfach keinen Schlaf.
Das kam nicht überraschend. Vor ihrem geistigen Auge spielte sich eine Art mittelalterlicher Danse macabre ab, doch statt Ritter, Bettler, Dame und Mönch waren es Constantine, Rachel und Markby, die um sie herumtanzten, Rachel und Markby Hand in Hand. Wenn Meredith sich selbst sah, dann am Schluss des Reigens, wie der verkrüppelte Bettler.
Um drei Uhr morgens stand sie auf und ging im Schlafanzug ins hintere Schlafzimmer, wo sie eine große Umzugskiste öffnete. Merediths hinteres Schlafzimmer war eine einzige große Rumpelkammer, ohne jegliches vernünftiges Mobiliar bis auf einen alten schmuddeligen Lehnsessel, der auf eine neue Polsterung und einen neuen Bezug wartete. Meredith hatte alles hier abgestellt, das auszupacken oder aufzustellen oder zu reparieren sie noch keine Zeit gefunden hatte, wie beispielsweise den Sessel. Die Umzugskiste enthielt die gesammelten Souvenirs ihres Lebens, von Erinnerungsstücken aus der Teenagerzeit bis zu geschnitzten Kunstgegenständen und Bildern aus Osteuropa, Töpferwaren aus dem Mittelmeerraum, Musikkassetten und allen möglichen Büchern. Irgendwo hier musste doch … wahrscheinlich ganz unten, wie immer.
Meredith kramte eifrig mit dem Kopf tief in der Kiste wie ein Terrier vor einem Fuchsbau. Da war es! Triumphierend kam sie hoch, ein Fotoalbum in den Händen, und setzte sich damit auf den schäbigen alten Lehnsessel, um ihren Fund im wenig adäquaten Licht der einzigen und schwachen Glühbirne zu betrachten, die nackt von der Decke baumelte.
Es war kalt im hinteren Schlafzimmer, und die Tasse Tee, die sie sich unten gemacht und mit hierher gebracht hatte, war auf dem Fußboden neben dem Sessel ungetrunken kalt geworden. Ohne auf die ungemütliche Umgebung zu achten, hatte Meredith den abgestoßenen schwarzen Ledereinband geöffnet und mit einem Gefühl der Verwunderung die Seiten durchgeblättert.
Da waren sie alle, geschützt durch transparente Zwischenblätter, ihre Schulfreundinnen und Klassenkameradinnen, die Lehrer, die Schulfeiern, die Präsentationen, die Sportfeste mit den Eltern, die zu Besuch gekommen waren, selbstbewusste und stolze Eltern, selbst das Maskottchen der Schule, eine gescheckte, fette Katze. Die Bilder waren ordentlich und in regelmäßigen Abständen eingeklebt und ausnahmslos mit rundlicher, kindlicher Handschrift untertitelt. Es waren Schnipsel aus einem behüteten Leben, wie Fossilien, detailliert und doch tot und vergangen.
Manche Namen sprangen ihr förmlich ins Gedächtnis. Andere Gesichter hatte sie völlig vergessen, oder sie erinnerte sich nur undeutlich, die Namen verloren im Nebel der Zeit. Dies waren die Dinosaurier der eigenen Entwicklungsgeschichte.
Und dort war sie, die Korbballmannschaft, triumphierend nach einem Wettbewerb zwischen verschiedenen Schulen, um die Ehrentafel herum gruppiert. Dort, in der hinteren Reihe (sie hatte immer hinten gestanden, weil sie so groß gewesen war), sah Meredith sich selbst. Und in der vorderen Reihe stand Rachel und starrte in das Kameraobjektiv, während sie die Tafel hielt. Mit sechzehn waren sie junge Frauen gewesen, keine Kinder mehr, und auf dem Bild wurde deutlich, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher