Blumen Für Sein Grab
sich dieser Tatsache sehr wohl bewusst waren. Die meisten strahlten Selbstbewusstsein aus und sahen an der Kamera vorbei. Rachel gehörte zu den wenigen, die genau in das alles sehende Auge blickten. Fast schon herausfordernd, dachte Meredith. Der Fotograf, erinnerte sich Meredith, war ein junger Mann gewesen. Und mit schiefem Grinsen bemerkte sie, dass sie schon damals größer gewesen war als alle anderen und Rachel hübscher.
Meredith lehnte sich zurück und fragte sich, ob Alan Fotos von ihr aufgehoben hatte. Sie fragte sich, ob er zu Hause lag und tief und fest schlief, oder ob er, wie sie, aufgestanden war und nun irgendein Hochzeitsfoto betrachtete oder einen sommerlichen Schnappschuss. Sie wollte nicht an Alan und Rachel als Paar denken, doch es gelang ihr nicht, dieses Bild aus ihrem Kopf zu vertreiben. Eine Ehe, selbst eine geschiedene, die in Bitterkeit geendet hatte, konnte niemals völlig aus dem Bewusstsein gelöscht werden. Sie hatte stattgefunden. Sie blieb für immer im Lebenslauf der beteiligten Individuen, ob es ihnen nun passte oder nicht.
Meredith warf einen letzten Blick auf das Album, bevor sie es zuklappte und sich steif aus dem Lehnsessel erhob. Eigenartig, wie alte Fotos Erinnerungen wach werden lassen konnten, Erinnerungen an kleine, bedeutungslose Dinge, die sie längst vergessen geglaubt hatte.
Beispielsweise die Art und Weise, wie es Rachel schon immer gelungen war, sich ins Rampenlicht zu schieben. Und dass sie immer für alles irgendeine Entschuldigung gefunden hatte.
KAPITEL 4
Sie sah Alan das ganze
Wochenende nicht. Sie rief ihn nicht an, und er sie nicht. Meredith fragte sich ironisch, wer von ihnen wem aus dem Weg ging.
Es war unausweichlich, dass sie über Rachel und Alex hätten reden müssen, falls sie sich getroffen hätten, ebenso, dass sie darüber in Streit geraten wären wie zwei Hunde um einen Knochen. Es sei denn, sie wären zum anderen Extrem übergegangen und hätten die ganze Geschichte totgeschwiegen, während sie dagesessen hätten und verstohlen den Blicken des anderen ausgewichen wären. Sie wusste nicht, was schlimmer gewesen wäre. Wahrscheinlich genauso wenig wie Alan, was der Grund dafür war, dass er sich nicht bei ihr gemeldet hatte.
Was nicht ganz den Tatsachen entsprach – wie Meredith jedoch erst in der folgenden Woche herausfand, als sie nach London bestellt wurde, zu Scotland Yard und einem Superintendent namens Hawkins.
Da erst rief Meredith bei Alan an und fragte ihn, wer dieser Hawkins sei.
»Ah, ich wollte dich auch schon anrufen«, antwortete er, was die Leute immer dann sagten, wenn sie nichts dergleichen im Sinn gehabt hatten.
»Ich werde mit dir zusammen in den Yard gehen. Sie – sie wollen mich ebenfalls noch einmal sprechen.«
»Noch einmal?«, fragte Meredith in scharfem Tonfall, doch ihr Mut sank.
»Ja. Ich war … ich war bereits einmal dort, seit wir … seit wir aus Chelsea zurück sind.«
»Es geht um diesen Dorn, dieses Ding von einem Feigenkaktus oder was auch immer, stimmt’s?«
Sie war wie üblich am Morgen nach London zur Arbeit gefahren und hatte sich mit Alan zum Mittagessen getroffen. Sie wurden um halb drei bei Scotland Yard erwartet. Das Essen war nicht besonders schmackhaft und das Restaurant nicht gemütlich. Das kleine Lokal war überfüllt, das Personal gestresst, der Service mangelhaft, das Essen Fertignahrung, die auf Bestellung in einer Mikrowelle erhitzt wurde.
»Hawkins wird dir alles darüber erzählen«, sagte Markby unbehaglich.
»Warum sagst du es mir nicht?«, forderte Meredith ihn auf.
»Und fertige mich jetzt bloß nicht mit irgendeinem offiziellen Beamtengeschwafel ab! Ich will vorgewarnt sein, wenn ich diesen Hawkins treffe!«
»Als ob ich das jemals wagen würde!« Zum ersten Mal, seit sie im Restaurant Platz genommen hatten, lächelte er sie an. Doch er wurde rasch wieder ernst.
»Ja, in Ordnung. Ich kann dir allerdings nicht mehr sagen, als ich selbst weiß. Ich dachte … ich dachte, die Spurensicherung sollte einen Blick auf diesen Dorn werfen. Ich war neugierig, das ist alles. Sie haben herausgefunden, dass der Dorn sehr geschickt ausgehöhlt wurde und das stumpfe Ende an irgendetwas befestigt gewesen sein muss. Der obere Teil der Spitze ist abgebrochen. Der Rest enthielt Rückstände von … von einer Substanz.« Sie starrte ihn über die halb aufgegessenen Reste des Essens und die zerknitterten Servietten hinweg an.
»Eine Nadel? Der Dorn wurde zu einer subkutanen Nadel
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