Blumenfresser
verborgen, hinter dem sich eine Robinie in die Höhe reckte, am Fuß des Nachbarhauses wuchsen Essigbäume. Vielleicht ist es besser, dachte er, dass unser Heim in der Schwarzer-Adler-Straße nun Erinnerung bleibt. Doch es gab auch noch die Gerüche und Düfte, den Fäulnisgeruch, der durch die Straßen fächelte, den Geruch des Grases, den Duft von Flieder und Rosen, den schweren Dunst der Sickergruben, den Rauch der Gerberei, den Gestank des Marsmarktes, das Raunen der Stadt, ihr vielgliedriger Körper, das Zuhause seiner kurzlebigen Pflanzen. Er ließ den Blick schweifen, die Stege zwischen den Häusern suchte er vergeblich. Die Nachmittagssonne wärmte ihm das Gesicht, die Wunde am Hals brannte stärker, doch er wurde ruhig, denn er begriff, dass er auch zu jener geheimen Welt zurückkehren konnte, an die ihn unsichtbare Kräfte jenseits der Worte banden, vielleicht hatte er gar nichts verloren. Er griff sich an den Hals, seine Finger wurden klebrig. Mit einem leisen Quietschen ging das Haustor auf, er trat in den Hof, im Stiegenaufgang sah er einige Flaschen, daneben ein Käfig, ein alter Stiefelknecht, ein Eimer, Bürsten, Besen, ein Sack Lumpen. Den Stiefelknecht hatte damals noch er geschnitzt. Aus dem Staub des Hofes rankte sich wilder Wein die Hausmauer empor. Das Tor schlug zu, Herr Schütz tastete sich vor, hinter ihm kam Klara. Imre wickelte sich den Verband vom Hals, auch ihn hatte eine Kugel getroffen. Wieder hatte ihn eine Kugel verletzt!
Der arme Habred hatte sofort die Seele ausgehaucht, ein Schuss war ihm ins Herz gegangen. Die Zigeuner hatten ihren Wahrhaftigen verloren, die Hälfte ihrer Leute war dort geblieben, und nun jammerten und wehklagten sie sicherlich, aßen in ihrem Kummer Erde. Sie waren kein Stamm mehr, nur mehr eine sich verstreuende Sippschaft. Wie sehr Gilagóg sich verändert haben mochte, früher hatte er ja auch nicht viel Fleisch am Leib gehabt, doch nun war er geradezu zum Gerippe verdorrt!
Von der Innenstadt her trug ihnen der Wind das Brausen von Ovationen zu. Der Herrscher war vor der Kirche eingetroffen. In rascher Folge donnerten Schüsse, über den Dächern kreiste ein silberner Schwarm erschreckter Tauben. Ein Dankgottesdienst würde folgen, wenn Imres Ahnung stimmte. Es wäre schon Zeit, ins Haus zu gehen. Bei ihrem Besuch im Gefängnis hatte sie ihm von der neuen Wohnung erzählt. Von den Schwierigkeiten hatte sie nicht berichtet, davon, dass sie ständig behelligt wurden und es ihr auch nicht gerade zupass kam, wenn Peter auftauchte, denn er nahm eher etwas mit, als dass er etwas brachte. Und auch Somnakaj, das Zigeunermädchen, hatte sie verlassen, sie war mit seinem Bruder fortgegangen.
Nun sah er sich in der Wohnung um, das war die Diele mit der großen Kommode, nach rechts ging es in die Küche, links in den Salon, wenn man ihn so nennen wollte, dann folgten die übrigen Räume, das Schlafzimmer und ein kleinerer Raum, vielleicht als Arbeitszimmer geeignet, dann die Kammer und der Kellerabgang. Auf einem Tisch fand er bekannte Gegenstände, Federhalter, Bleistifte, Tintenfass, Papierschere, Tintenbehälter mit sechs Jahre alter Tinte, in einem Becher Glaskugeln, Bücher in deutscher und ungarischer Sprache, eine ledergebundene Odyssee , Goethe, Schiller, Heine, ein deutscher Molière, Zeitschriften. Trotzdem sprang die Bedürftigkeit derart ins Auge, dass er sich umsonst gewappnet hatte, er war erschüttert. Er sah die Anstrengung, denn die Anordnung der Dinge sollte ihm das Gefühl geben, dass sie ihn so erwarteten, wie er sie verlassen hatte, doch Armut lässt sich nicht verstecken. Tränen stiegen ihm in die Augen, als er neben einer Dose die Kartonreklame für Hutreparaturen von Terézia Frei erblickte. In der Dose waren Zigarren und in einem prallen Säckchen türkischerTabak, er grub mit dem Finger darin. Er blickte zum hinteren Zimmer und hörte die Stimme seiner Frau, die den Zigeunern Anweisungen gab. Hinter ihm schnaufte Herr Schütz, er sagte nichts.
Das Kind krallte sich in sein Hosenbein, es hatte ein schmales, längliches Gesicht, genau wie er selbst, das Haar war dunkelblond und schütter, das Kinn spitz. Imre räusperte sich.
Servus, sagte er.
Das Kind schwieg.
Weißt du, wer ich bin?
Ja, das Kind errötete.
Ich bin wieder da, sagte er.
Sie haben es mir gesagt, antwortete das Kind.
Du hast nicht auf die Wiese hinauskommen wollen.
Ich wollte hier auf dich warten.
Warum?
Ich wollte, dass wir uns zuerst hier treffen.
Er versteht es
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