Blumenfresser
jetzt nicht, jetzt schon, jetzt ist es nicht gut, und als es zu Ende war und sie sich zurechtgemacht hatte, flüsterte sie, sie fühle, dass er sich nähere, doch sie sagte nicht, wen sie meinte, es wäre auch überflüssig gewesen, wer sollte es sonst sein als Peter. Imre lachte, dass ihm das Buch aus der Hand fiel, und bekam Schluckauf. Na klar, den ganzen Tag warteten sie auf seinen Bruder, der sich angekündigt hatte, vielleicht aus Wien, vielleicht aus Prag, und es überraschte sie nicht, dass er fortblieb. Vor einigen Wochen hatte ihm einer seiner zwielichtigen Kumpane angeblich ins Ohr geflüstert, dass seine Mutter am Leben sei. Peter trank in einem Wiener Gasthaus drei Nächte durch, am Morgen des vierten Tages fand er, nachdem man ihn wachgerüttelt hatte, einen Ring auf dem Tisch, der hatte seiner Mutter gehört, ihr Name war darin eingraviert. Zumindest hatte er es so erzählt. Dann ließ er ausrichten, dass er in der Kaiserstadt sämtliche Armenhäuser und Hospitäler besucht habe, wo Lungenkranke dahinsiechten, weder Lepra noch Typhus hätten ihn abgeschreckt, und überall habe er einige beschädigte Möbel und gebrochene Menschenarme zurückgelassen. Doch die Mutter habe er immer noch nicht gefunden!
In der Nacht erwachte er von einem Ruf. Klara lag reglos neben ihm, also schlief sie nicht. Im Schlaf wälzte sie sich immer herum und seufzte, sie lag mit der Nacht in Streit, lehnte sich gegen ihre Träume auf. Doch jetzt bewegte sie sich nicht, woraus Imre schloss, dass sie wacher war als er, und da hörte er das Klopfen an der Fensterscheibe. Er stieg aus dem Bett und zog den Vorhang beiseite. Er sah Peters pelzverhüllte Gestalt, die mit einem gewaltigen Pinsel auf die Straße gemalt schien. Es schneite in wirbelnden Flocken. Sein Bruder stand da wie ein Berg, er dampfte und blies Rauchwolken in die Luft. Imre wusste nicht, was tun, er schlüpfte wieder ins Bett und stellte sich schlafend, doch die Täuschung war überflüssig. Klara rührte sich lange nicht, atmete wach im Halbdunkel, schließlich erhob auch sie sich und schlich zum Fenster, im Lichtschein des Schnees wirkte sie recht zerbrechlich. Imre wusste, dass Peter gleich ins Haus stürmen würde. Auch diesmal würde Peter ein Geschenk mitbringen, nie kam er ohne irgendeinen Klimbim.Er zaubert eine falsche Perlenkette aus seinem Mantel und behauptet, er habe sie einer schlafenden Bankiersfrau vom Hals genommen!
Klara zog fröstelnd die Schultern ein und öffnete das Fenster, ohne sich im Mindesten darum zu kümmern, dass Imre es hörte. Und sie winkte seinem Bruder. So mochte es gewesen sein, denn einige Augenblicke später machte Peters gewaltiger Leib der betäubten Ruhe der Wohnung ein Ende, die Tür quietschte, der Fußboden stöhnte knarrend auf, pfeifend erhob sich ein Luftzug. Wo sein Bruder eintrat, dort veränderten sich die Relationen, was groß erschienen war, schrumpfte zu gewöhnlichem Maß, und die kleineren Zusammenhänge wurden zu nichts. Peter war im Salon, sein Gebrumme drang ins Schlafzimmer. Imre stieg aus dem Bett, stahl sich zur Tür und spähte durch den offenen Spalt.
Klara hob gerade das Likörglas an die Lippen, das Peter auch diesmal aus seinem Mantel hervorgeholt hatte, ein Likörglas mit Goldrand aus einem Gasthaus an der Straße, aus der rauchigen Wärme eines Kaffeehauses, aus einer anderen Welt, deren größte Tugend ihre Ferne war. Mit dem Ärmel wischte Klara die von den Schneeflocken hinterlassenen Perlen von Peters Schnurrbart und schmiegte sich an ihn. Sie mochten beim Küchentisch angelangt sein, er knarrte, als Klara sich mit der Hüfte daran lehnte. Peter schnappte den Salzstreuer und warf ihn auf die Kredenz, der Lärm war ihm einerlei, schon hatte er die Finger am Gürtel ihres Morgenmantels, doch er knüpfte ihn nicht auf, sondern riss und zerrte daran. Wie ein Schlächter machte er ihren Schoß frei, seine Hände klatschten auf die Innenseiten der Schenkel, die er auseinanderdrückte. Eine Bestie, so eine Bestie! Klara schrie auf, Peter keuchte in ihr Haar.
Draußen duckten sich die eingeschneiten Häuser zusammen, das Weiß ihrer Dächer verschmolz miteinander, die Straßen waren verschwunden, es gab keine Theiß mehr, keine Felder und Wäldchen und keinen Himmel, nur der Schnee wirbelte.
Ein trauriger Affenbrotbaum raschelte in der Nacht.
Klara rutschte vom Tisch, sie bemühte sich, aufrecht zu stehen, doch ihr schwindelte noch, sie hielt sich an Peters Schulter fest und flüsterte, ihr sei
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