Blumenfresser
her, Regeln kannte er nicht, er interessierte sich gar nicht für sie, er kam gar nicht auf die Idee, dass auch andere Menschen Kränkungen einstecken mussten, nicht nur er. Peter war selbstsüchtig wie ein Kind, doch er konnte so herzhaft lachen, dass jeder früher oder später davon angesteckt wurde. Peter war außer sich vor Wut, doch er tat Adam nichts. In dem verlangsamten, traumartigen Chaos nach dem Schuss kam Imre gar nicht in den Sinn, dass ihm der Tod über den Hals gestrichen hatte. Es war nicht unangenehm, nur ein Schwindelgefühl. Etwas Warmes rann ihm auf die Schulter, sein Hemd wurde klebrig, und er wusste, dass er lächelte. Gut, vielleicht würde er sterben. Er fühlte eine tiefe Ruhe, aber er machte sich nicht auf den Tod gefasst, sondern darauf, dass es sich als überflüssig herausstellen könnte weiterzuleben. Doch das Leben wich nicht aus ihm, aus der Wunde am Hals wurde eine Blume, sie blühte auf, welkte und blühte von neuem, man musste sie nicht einmal gießen. Er legte seine Finger darauf und stellte sich vor, was wäre, wenn Adam endlich den Mut aufbrächte, nicht nur immer mit hängenden Schultern vor ihnen zu stehen, auf der Dreifaltigkeitsstraße, auf dem Hauptplatz, im Hafen oder wo immer. Doch er sagte nie etwas, sondern schaute, schaute nur unverwandt, wie ein Tier. Er wartete unter ihrem Fenster und rief schließlich etwas hinauf, bat um eine Kleinigkeit, um Geld oder um etwas zu essen.
Der Herbst ging zu Ende, und die Nachrichten wurden immer düsterer, nicht nur die Serben griffen die Stadt an, auch die Cholera dezimierte die Bevölkerung. Außerdem verfiel Herr Schütz unerwartet in Trübsinn, meistens hockte er zu Hause. Den genauen Grund der Melancholie, die dann fast bis zum Zusammenbruch der Revolution anhielt, kannte Imre nicht, er spürte jedoch, dass Klara mehr wusste als er.
An einem traurigen Tag im Spätherbst verschwand Klara. Die Cholera hatte bereits ihre ersten Opfer gefordert, und Imre lief händeringend in der Wohnung umher, weil er nicht wagte, den Kleinen allein zu lassen. Es war bereits dunkel, als Klara heimkehrte, und er kam gar nicht erst dazu, sie zu schelten, denn sie hatte Zeichnungen mitgebracht, die sie gleich auf den Tisch legte, er wusste sofort, wo sie die herhatte, voll Entsetzen starrte er auf die Kritzeleien der kleinen Schauspielerin, die ihn, Peter und Adam zeigten.
Klara sah ihn herausfordernd an und lachte ihm ins Gesicht.
Soll auch ich Sie zeichnen, Herr Schön?
Er antwortete nicht, was hätte er auch sagen können.
Doch offenbar war es schön, dass es sich so ergeben hatte. Und wie schön und wie unsinnig war es, dass Klara die Zeichnungen an die Wand nagelte.
Nie dagewesene Verachtung
Im Frühwinter 49 steckten die Serben einige Dörfer in Brand und griffen mehrmals die Stadt an, immer tollkühner und ergrimmter, schließlich versuchten sie den gefrorenen Fluss zu überqueren. Es waren die weiblichen Bewohner der Stadt, denen die anwachsenden Flecken auf dem Eis auffielen und die sich den Eindringlingen entgegenstellten, stämmige Marktfrauen und mit Messern bewaffnete Putzmacherinnen, Bürgerfräulein, Patriotinnen und Verbandsschwestern, sie rannten auf die gefrorene Theiß hinaus, und Klara, bereits wieder daheim,erzählte von dem Dienstmädchen aus der benachbarten Straße, sonst ein stilles Geschöpf, das kaum ein Wort von sich gab, es war mit blutigen Händen zum Ufer zurückgekehrt und hatte sie der sich dort drängenden Menge wie eine Trophäe entgegengehalten, dann war es in Ohnmacht gefallen, denn es hatte einen Schnitt oberhalb der Brust abbekommen.
Ein Scharmützel folgte auf das andere, bis bei einem Gegenangriff, das erzählte bereits Herr Schütz, das Eis unter Adam einbrach. Er konnte im letzten Moment gerettet werden, das Wasser hatte ihm bereits den Frostkragen des Todes um den Hals gelegt. Adam wurde bei Juden untergebracht, bei der Familie von Armin Mózes, wo ihn die Frauen, Judit und ihre Töchter Marja und Esther, am säuselnden Ofen gesundpflegten. Der immer noch schlecht gelaunte alte Doktor stand ihnen zur Seite. Wochenlang ließ er sich bei der Familie Schön nicht mehr blicken, und wenn er dann doch hereinschneite, hatten sie nicht viel davon, denn er zankte auf zynische Weise, stets suchte er einen Grund, beleidigt zu sein, und fand ihn auch, was oft mit einem eher effektvollen als ernst zu nehmenden Wutanfall endete. Während einer dieser Streitereien schrie er Imre an, er werde ihn ohrfeigen! Einen
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