Blumenfresser
Moment lang herrschte Stille, dann begannen sie zu lachen, Klara klatschte in die Hände, na los, Herr Doktor, los, worauf warten Sie, eine Ohrfeige für den Frechdachs, eine Ohrfeige! Der Alte musste selber lächeln. Dennoch wurde er nicht müde, Adam zu verteidigen. Und als hätten sie sich abgesprochen, wurde auch Klara reizbarer, Imre hörte ihre Stimme aus wachsender Entfernung, und wenn er sie berührte, zuckte sie zusammen, als würde sie Ekel empfinden. Oft warf sie sich ihren Pelz über und lief barhäuptig in die Kälte hinaus, die nicht enden wollte, auch der März war frostig, schmutziger, sulziger Schnee beherrschte die Straßen. Klara ging ohne ein Wort, ohne einen Gruß, und wenn sie dann wieder hereinkam, rechtfertigte sie sich nicht. Sie sah nur das Kind an und summte.
Bist du bei ihm gewesen?, fragte er einmal, als Klara zur Dämmerungszeit zurückkehrte, bibbernd und glücklich, einGewitter wusch die Stadt, auf Klaras Gesicht war die Schminke verschmiert, hinter ihr glühte der Himmel rot, der Horizont bekam vom Regen nichts mehr ab. Keuchend warf Klara ihren durchnässten Mantel in eine Ecke, schüttelte ihr Haar und nahm den Kleinen auf den Schoß.
Du warst im Mózes-Haus, stimmt’s?
Und wenn schon − würde das irgendetwas ändern?!
Als ob ich es dir verbieten wollte!
Verbiete es mir doch!, schrie Klara, das Kind schluchzte auf, und Imre schüttelte nur den Kopf, als wollte er einfach nicht glauben, was geschah.
Adam wurde gesund, und bald hatte das Chaos des Kriegs ihn verschlungen, Herr Schütz knurrte etwas wie, der Bursche habe das Fieber herausgehustet und die Juden verlassen, er sei zu seiner Einheit zurückgekehrt, damit müssten sie sich abfinden. Auch Klara kam wieder zu Kräften, das Kind schlief nachts bereits durch, es war ein ruhiges Baby. Wenn sie es stillte, ging Imre meist aus dem Zimmer und amüsierte sich darüber, dass er auf den fordernden kleinen Mund, der an der Brustwarze seiner Frau schmatzte, offenbar ein wenig eifersüchtig war. Klaras Gereiztheit verging nicht, ihr Verhalten wurde provokant, sie fragte mit schneidender Stimme und antwortete selten. Das Baby hörte auf zu trinken, Klara bedeckte ihre Brust nicht, an der Warze hing ein Tropfen Milch. Sie lachte Imre roh ins Gesicht, ob er kosten wolle? Er schämte sich, dass er Widerwillen gegen die Muttermilch empfand, obwohl es keine Ausdünstung ihres Körpers gab, die er nicht aufregend gefunden hätte. Oft nahm er den Geruch Peters auf ihrer Haut wahr, und auch der stieß ihn nicht ab. Klara sah ihn noch immer an, mit freier Brust und dem Milchtropfen darauf. Imre schüttelte den Kopf, worauf sie zu ihm hintrat und ihn mit stummer Wut derart ins Gesicht biss, dass Blut hervorquoll und ihm langsam über den Hals lief.
In den dreißiger Jahren, als er in Dresden studierte, hatte er eine Geliebte gehabt, die älter war als er, die Frau eines Notenkopisten, die er in der Blumenfeldstraße besuchte, sie wohnteim zweiten Stock, wo sich die Zimmer ärmerer Mieter befanden, zweimal kurz und nach einer Pause ein weiteres Mal klopfen war das Zeichen. Sie erwartete ihn im Bett, ihr großer, weicher Leib war immer bereit zu allem Guten. Ein andermal war sie im Morgenrock und biss mit dirnenhaft rot geschminktem Mund auf seinem Bauch herum. Bei ihrem letzten Stelldichein verriet sie während der Liebe, dass ihr Mann ihr Zusammensein immer belauscht und sie genommen habe, wenn Imre wieder fort war. Sie gluckste, immer ist dir jemand nachgefolgt, Junge! Imre stieß weiter in den weiten, heißen Schoß und kaute in seiner Verlegenheit an ihren Haaren. Natürlich ist es vorgekommen, dass er es nicht abwarten konnte, keuchte sie, und dann bist du sein Nachfolger im Garten gewesen! Imre stöhnte auf, sieht er uns auch jetzt zu?, und als sie bedeutete, dass es so sei, überkam ihn die Wonne. Er ging nie wieder zu ihr, doch Monate später setzte er sich in der Kneipe an den Tisch des Mannes, der ihn mit glanzlosem, kaltem Blick ansah, schließlich sagte er nur, sie ist vor einer Woche gestorben, die Dirne, der Teufel hat sie geholt!
Imre roch auf Klaras Haut den Duft von Unrast und Müdigkeit, Rückstände ihrer Träume, häufig auch einen beunruhigenden Hauch, in dem feinster Blumenduft sich mit dem Geruch von blutigem, rohem Fleisch mischte. In der Nacht, wenn sie schlief, beugte er sich über ihren Mund und trank ihren Atem.
Im April begegneten sie Adam wieder. In der Stadt wurde gefeiert, der Überschwang galt der
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