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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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Wurzelmama, die vor dem Haus wartete, glich einem eingemummten, gewaltigen Baby. Sie hatte sich in dicke Kleider gehüllt, stapfte in Filzstiefeln durch den Schnee, ihr Atem dampfte blau.
    Danke, Mama, sagte Imre, danke.
    So viel kann ich dir verraten − Nero Koszta ist verschwunden, antwortete Wurzelmama, sie nahm den Fisch entgegen, betrachtete ihn genau und verbarg ihn zwischen den Falten ihres Kleides.
    Wie kann jemand verschwinden, der so wie er seit fünfhundert Jahren Musik macht?!
    Er hat geheiratet, knurrte die Mama, sie schien schlecht gelaunt, ihr Gesicht erinnerte an festgestampfte Erde.
    Wer ist die Glückliche?, fragte Imre unruhig.
    Diese Frauensperson ist überhaupt nicht glücklich und wird es auch nicht mehr werden. Wer mit Nero Koszta verschwindet, hat ohnehin nicht viel Gutes zu erwarten.
    Er musste heiraten, Wurm steckte seinen Kopf hinter Wurzelmama hervor, weil er jede aufs Kreuz legen will. Neulich hat er ein junges Mädchen verführt, rollte er entrüstet mit den Augen.
    Nicht doch!, mischte sich Blatt ein, der schon fast neben ihnen stand, jungen Mädchen hat Nero Koszta nichts getan, er hat höchstens ein wenig über ihren Bäuchen gesummt.
    Richtig, er hat nur gesummt, wieherte Wurm, und da sind ihnen schön die Äuglein aus den Höhlen getreten!
    Vielleicht ist er doch nicht ganz verschwunden, lächelte Imre, denn du wirst schon wissen, Mama, wo der Grasmusikant sich aufhält.
    Das kann ich dir sagen, erklärte Wurzelmama: Tief in der Erde. In deinen Gedanken. In deiner Furcht. Doch seine Adoptivtochter hat er uns hiergelassen, sie heißt Struwwelmadonna und kann nur singen. Struwwelmadonna ist nicht Neros Tochter, denn gezeugt hat sie gewiss wer anderer. Einmal wirst du erfahren, wer ihr richtiger Vater war, Imre Schön. Vielleicht hatNero Koszta sie aus Schuldbewusstsein aufgezogen, vielleicht auch, weil es ihm gefiel, dass sie so winzig war, als er sie bekam, aber wie er trotzdem imstande war, sie wachsen zu lassen, sie zu einem Windmenschen zu zaubern, das musst du ihn selbst fragen. Aber vergiss nie, Imre Schön, wenn Struwwelmadonna zu reden beginnt, so wie du redest, ist das ein sehr schlechtes Zeichen.
    Imre näherte sich ihrem Gesicht.
    Mama, dich bedrückt auch noch etwas anderes, nicht nur das Verschwinden von Nero Koszta!
    Ich weiß nicht so recht, flüsterte sie, diese Welt ist nicht mehr nach meinem Geschmack. Alles wird immer härter, größer und lauter.
    Es gibt kaum etwas zu essen!, sagte Wurm mit Trauermiene.
    Wozu diese Rennerei, diese Hektik, diese Hast, wenn ich fragen darf!, beschwerte sich, ganz gegen seine Gewohnheit, auch Blatt.
    Und dann tanzten sie noch auf der verschneiten Straße, Wurzelmama, die Herren Wurm und Blatt hielten einander bei den Armen, begannen sich zu drehen und über den Schnee hinwegzuwirbeln, um dann allmählich mit dem Rot des Tagesanbruchs zu verschmelzen.
    Imre lief zähneklappernd ins Haus, Somnakaj saß auf dem Bettrand, sie war noch benommen, wurde aber langsam munter. Zum ersten Mal seit langer Zeit wollte sie etwas essen. Leise, fast singend sagte sie, dass sie gerne Krapfen hätte.
    Warum ausgerechnet Krapfen, Somnakaj?, fragte Imre.
    Weil ich sie nicht nur essen, sondern auch durch ihr Loch sehen kann, flüsterte sie.

Alles ist so kompliziert geworden
    Der mit Drachen verzierte Tischkalender zeigte den Februar des Jahres 1850, doch es war bereits März. Am Vormittag wurde imKachelofen tüchtig eingeheizt, Somnakaj zerkleinerte im Hof Zweige. Das Tappen kleiner Sohlen war zu hören, ein Kind lief ins Zimmer, sah sich um und blieb vor einer Daguerreotypie stehen.
    Das Bild zeigte einen düster blickenden Mann, den Großvater, Antal Schön, der in jungen Jahren von Pest nach Szeged übersiedelt war und bei den Piaristen unterrichtet hatte. Seiner Ehe, die er gegen den vergeblichen Widerstand seiner Familie einging, entsprangen zwei Kinder, Imre und Peter. Das damalige Oberhaupt der Familie, Endre Schön, Doktor der Medizin, hatte recht damit, dass er kein Vertrauen in die Szabics-Tochter hatte, die schon bei der ersten Begegnung ihr spitzes kleines Kinn aufwarf und seinem Blick selbstbewusst standhielt. Auch später legte sie nicht mehr Respekt an den Tag. Es wäre ungerecht zu behaupten, sie sei bei der schweren Prüfung der Mutterschaft durchgefallen, denn sie war sehr wohl eine gewissenhafte Mutter gewesen, doch zur Mutter und zum gehorsamen Eheweib war Anna Szabics nicht geschaffen. An einem Sommermorgen verschwand sie ohne

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