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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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jederzeit die Zähne ins Fleisch graben können.
    Beiß nicht, kitzle mich nur mit deinem Schnurrbart, Wels!
    Kitzle mit deiner langen Nase nur meine Sohle, Stör!
    Gegenüber dem Markt stand das Schäffer-Haus. Der Vater hatte ihr von dem elsässischen Eisenhändler Adam Schäffer erzählt, der dieses prachtvolle Gebäude errichten ließ, angeblich weil er den Fischgeruch liebte und die Theiß sehen wollte, wenn er aus dem Fenster blickte. Der Vater rühmte sich, das Haus von innen zu kennen, wo der Fußboden, weil aus Rosenholz geschnitzt, nicht knarrte, Wiener Porzellan in goldbeschlagenen Vitrinen prunkte und pummelige Engel an die Decke gemalt waren.

    Sie verließen den Fischmarkt, geistesabwesend ließ sich die Mutter führen. Auf diesen gemeinsamen Wegen kamen sie einander näher als jemals sonst. Wie zwischen Verbündeten gab es keine Notwendigkeit, zu sprechen, Worte hinzustreuen, zu befehlen und zu gehorchen. Klara dachte, dass dieses verführerische Spazierengehen die heimliche Rebellion der Mutter war. Allmählich lernte sie die verborgenen Winkel der Stadt kennen,überall fand sie allein hin, vom Eichelwäldchen hätte sie mit geschlossenen Augen nach Hause gehen können. Sie wusste, wo die Robinien mit ihren gewundenen Stämmen am schönsten waren, hier versperrte ihnen eine hohe Schwarzpappel den Weg, dort Nussbäume, Linden, Platanen, eine Gruppe von Erlen, ein andermal überquerten sie Flussarme der Theiß, und es war aufregend, wie die Planken unter ihnen zitterten. Am liebsten ging Klara in die Kirche von Rochus, neben der es ein Hospital gab. Sie sah Gelähmte, die mit Fuhrwerken gebracht wurden, vom Schlag Getroffene, geistig Umnachtete und Tote, die Mutter gab einem Einäugigen Geld, er behauptete, irgendwann einmal für den Vater gearbeitet zu haben.
    Schließlich verstand das Kind, dass die Mutter, soviel sie auch zur Kirche ging, dort nicht Gott und den Glauben suchte. Sie suchte die Gemeinschaft mit den leidenden Wesen, die ihnen von den Altarbildern, den bemalten Seitenwänden und den Decken entgegenblickten, sie betete zum heiligen Rochus, der Aussätzige geheilt hatte und dann selbst vom Schwarzen Tod hingerafft worden war. Die Mutter bewunderte die vielen Gesichter der Heiligen Jungfrau, die junge Maria, die ihren Sohn beweinende bejahrte Frau, die übel beleumundete Magdalena, den tapferen Georg, den Drachentöter, Antonius, der den Armen half, den heiligen Franziskus, der seinen vornehmen Tand hinwarf und den Notleidenden beistand, und die heilige Katharina, die jungfräulich enthauptet wurde. Besonders lang betrachtete sie das grob geschnitzte Gesicht des heiligen Petrus in Ketten, der das Böse aus uns vertreibt. Doch nicht das Gute, nein, die Leiden, die Schmerzen und die Martyrien interessierten sie, als wolle sie mit diesen grauenhaften, an Hingabe reichen Viten beweisen, dass es noch Qualvolleres gebe als das, was ihr selbst widerfuhr. Auch wenn das, was mit ihr geschah, keineswegs außergewöhnlich war, das wusste sie selbst. Sie hatte einen trunksüchtigen und nichtsnutzigen Ehemann, ihre Eltern wollten nichts von ihr wissen, ihre Tochter zog es ständig fort, so sehr sie auch ihre Hand festhielt, niemals fühlte siesich ihr nah. Die Frage blieb offen, wie viel sie dafür konnte, dass ihr Leben diesen Lauf genommen hatte, ob sie, wie zum Beispiel die mit Messern zerstückelte Katharina, solche Leiden überhaupt würde ertragen können, doch die quälerische Unsicherheit verhärtete ihre Züge, und ihre Bewegungen, als wären sie von Rost zerfressen, knirschten regelrecht und taten auch denjenigen weh, die sie mit ansahen. All das verstand das Mädchen und konnte doch nichts tun. Vielleicht wollte sie auch gar nicht. Sie dachte, die Mutter probiere die Formen des Leidens, die Einsamkeit, den Liebesmangel nur aus, weil sie nicht wirklich leiden könne. Sie habe zu wenig Gefühl in sich. Auch die Gebete flüsterte die Mutter mit farbloser Stimme. Klara betete ebenfalls nicht gerne, sie hätte die vorgeschriebenen Sätze nicht fehlerlos herunterleiern können, deswegen erfand sie allerlei Bitten.
    Lieber Gott, malen wir alle Menschen blau an!
    Es wird, lieber Gott, es wird einen Augenblick geben, den ich für dich erschaffe!
    Ein Buch soll gefunden werden, das nur ich lesen kann!
    Ein Buch, ein Buch soll gefunden werden, das nur von mir handelt!
    An diesem Nachmittag betraten sie die Kirche am Georgplatz, niemand war da, der Küster mochte anderweitig beschäftigt sein. Der

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