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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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der Luft schwammen braungebrannte Papierfetzen, Banknoten, Aschefalter. Das Mädchen zeigte auf die herumfliegenden Geldscheine.
    Dafür hätte man Brot kaufen können, dafür ein Kleid, dafür einen Kamm!
    Imre schwieg.
    Herrgott, sagte Somnakaj, wie schrecklich, und versank in Gedanken.
    Was ist dir eingefallen, hm?
    Ein … ein Blütenblatt, stotterte sie. Ich habe einmal ein Blütenblatt so kreiseln sehen, sie sah einem Geldschein nach, der über ihren Köpfen tanzte.
    Was war das für eine Blüte, Somnakaj?
    Eine Rosenblüte, nickte sie, und sie war blutig.
    Warum hast du behauptet, dass mein Bruder ein Mörder ist?
    Ich weiß nicht, flüsterte sie, ihr Blick sprang unstet hin und her.
    Das hast du deiner Herrin aber gesagt.
    Ich habe gesagt, dass ich einen bleichen Jungen habe sterben sehen und dass ein Riese ihn umgebracht hat!
    Nein, Somnakaj, du hast noch mehr gesagt!
    Da weinte sie bereits, und offenbar glaubte sie sich selbst, wie die Zigeuner häufig ihren Gefühlen mehr glauben als der vor ihrer Nase brüllenden Welt. Imre hatte ohnehin nicht vergessen, dass am Abend ihrer Genesung Nero Koszta vor dem Haus erschienen war. Und er hatte ohne Zweifel musiziert. Somnakaj, Somnakaj, du kennst den Grasmusikanten und die Kumpanei von Wurzelmama, dachte Imre.
    Die unnötigen Torturen, die Zensur, die ständige Überwachung, die nicht enden wollende Hetze, wie im Sommer 1850, als Haus für Haus, Straße für Straße nach den Agenten der Emigranten durchstöbert wurde, brutal und schonungslos und ohne Erfolg, all das hätte er noch ertragen. Er wusste, dass solche Zustände über längere Zeit nicht aufrechtzuerhalten waren. Man musste es erdulden, ruhig bleiben, einmal würden die Pestbeulen der Unterdrückung sich selbst zum Verschwinden bringen. Dann aber erfuhr er etwas, das ihn direkt, persönlich traf. Er empfand die Sache als so niederträchtig, dass er vor Empörung tagelang kein Wort hervorbrachte.
    Der Fall hing mit der Ernennung des neuen Komitatshauptmanns, eines erbitterten Gegners des Aufstands zusammen. Bonyhády hätte mit einer seiner Maßnahmen sogar geistliche Worte zensieren wollen, in diesem Bestreben wies er Rabbi Löw an, seine religiösen Unterweisungen zur Genehmigung vorzulegen, worauf der Rabbi nur missmutig bemerkte, aber Herr Komitatshauptmann, zuvor müsste man die Bibel der Zensur unterziehen, denn meine Lehren entspringen dem Geist der Bibel. Plötzlich besserte sich die Laune des Rabbi, und im Licht des Amtsraumes zog er aus irgendeiner Falte seiner schwarzen Kleidung die Bibel der Juden hervor und blätterte darin, den Finger anfeuchtend, wie es seine Gewohnheit war. Herr Schütz gluckste wie ein Kind, Rabbi Löw las diesem Rindvieh jenen Passus aus dem ersten Buch Samuel vor, in dem Samuel von der Macht des Königs spricht.
    Er riss den Mund auf wie ein Fisch!, und der Doktor spielte den verdatterten Komitatshauptmann vor.
    Allerdings finden sich auch im Gesang der Gesänge einige Stellen, die dieser Hornochse am liebsten verbieten würde, bemerkte Imre.
    Das Vorgehen Bonyhádys ging weit über belächelnswerten Eifer und behördliche Kleinlichkeit hinaus. Allein schon wegen der Bücherverbrennungen blutete Imres Herz, doch als er davon hörte, wie barbarisch die im Archiv aufbewahrten revolutionären Aufzeichnungen vernichtet worden waren, schüttelte er fassungslos den Kopf. Auch eine Bücherverbrennung war schändlicher Mord. Doch nach dem Verlöschen der Flammen war das Opfer nicht mehr zu sehen, die Flugasche wurde vom Wind verweht, die Worte von einst spülte der Regen zwischen die Wurzeln der Bäume. Es hatte ein wenig Ähnlichkeit mit der Einäscherung, der Staub unseres Toten wird in alle Welt verstreut, also bleibt er uns erhalten. Die Protokolle der Revolution wurden aber nicht verbrannt! Sie wurden mit einer scheußlichen schwarzen Farbe verschmiert, es sah aus, als hätte jemand als trübseliges Memento die Leichen von Sätzen zurückgelassen, zur Abschreckung. Dick aufgetragenes, fettiges Schwarz verunstaltete die Zeilen. Diese Bücher waren wie Tote, die man nicht begraben konnte, ihre Einsamkeit war unwiderruflich und schauerlich.
    Endlich war es gelungen, einen Archivar zu überreden, denn Imre hätte gerne eines dieser Revolutionsprotokolle in seinen Besitz gebracht, doch der Archivar war lediglich bereit, Imre und den Doktor für einige Minuten in das Magazin der verbotenen Bücher einzulassen. Der Wind bellte in den Straßen, das Gewitter hatte die Stadt

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