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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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einen Schluck Palinka und überließ den pfeifend atmenden Alten sich selbst.
    Wie die Jahre zwischen dem Brand des Schiffs und der Dreikönigsnacht vergangen waren, hätte er nicht sagen können. Die Vergangenheit bestand aus Flecken und wirren Eindrücken, und später, während der Kämpfe, in Heerlagern im Süden, oder wenn er im Burghof, mit dem Eimer voller Küchenabfälle paradierend, sein zurückliegendes Leben überdachte, gelang es ihm nicht so recht, die Ereignisse seiner Jugend zeitlich zu ordnen. Als wäre es gestern gewesen, dass sein Vater sich in den Kopf geschossen hatte, die Pistole auf den Fransen des Teppichs rauchte und das Blut aus dem zur Seite gekippten Kopf floss, während er, Adam, unentwegt grinsen musste. Doch Nero Koszta hatte schon am Tag seiner Geburt auf dem Gutshof getanzt, hei, hei heißassa! Er wusste nicht mehr, wann Tante Berta sich so verkühlt hatte, dass ihre Hand vom Fieber glühte und DoktorSchütz über dem nebelhaften Krankenbett mit wachsender Besorgnis den Kopf schüttelte. Dann sah er plötzlich das Begräbnis in scharfen Bildern vor sich, er war überzeugt, dass man die Tote im Sarg mit Puderzucker bestäubt hatte. Weil er das Haus der Familie verlassen musste, zog er kurz darauf ins Palánkviertel, wo er ein kleines Zimmer gefunden hatte.
    Es mochte der Frühling zweiundvierzig gewesen sein, er trank mit Kigl ein Glas Wein und erfuhr von ihm, dass der Lehrer Antal Schön, der Mann, der seiner Mutter den Hof gemacht hatte, ein paar zuvor Tagen gestorben war. Sieh an, auch den gab es nicht mehr. In den letzten Monaten war er gelegentlich über ihn gestolpert. Der Lehrer war bereits ein gebrochener Mann gewesen, er trug eine fleckige, falsch geknöpfte Jacke und kam nur noch schlurfend voran.
    Adam ging auf ihn zu, es war Winter, Krähenschwärme wirbelten über der Stadt.
    Kennen Sie mich noch, Herr Professor?
    Antal Schön kniff die Augen zusammen, sein Atem qualmte, seine Nase glänzte, bist du es, Hirsch?!
    Ja, Herr Professor, ich bin Hirsch, Adam lächelte.
    Ach, lieber Hirsch, der Lehrer neigte sich vor, ach lieber Hirsch!
    Ich bin nicht Hirsch, sagte Adam unvermittelt.
    Doch, das bist du, Hirsch! Du bist der Hirsch!, krähte der alte Mann.
    Nein, nein, flüsterte Adam.
    Er war nicht besonders erschüttert – hatte er denn etwas anderes erwartet?
    Jetzt verharrte sein Blick auf den dunklen Locken, den langen Wimpern und vollen Lippen von Naze Kigl. Ein schöner Junge, dieser Kigl, fast schon ein Mann. Aber sein Vater war ein großes Rindvieh. Irgendjemand in ihrer Nähe verbreitete feinen Zigarrenrauch. Adam wunderte sich, dass er traurig wurde.
    Wer bist du denn nun?, hatte ihn damals im Winter gereizt der Lehrer gefragt.
    Mein Vater war Richter Pallagi, antwortete Adam.
    Wusste ich es doch, dass du nicht Hirsch bist!, murmelte der Lehrer.
    Károly Pallagi war mein Vater, Herr Professor. Und meine Mutter hieß Mária Báthory.
    Der alte Mann riss seine falben Augen auf, Adam sah das Zittern seiner Hand, seine Nase tropfte. Dann geschah etwas, die Hand erhob sich und sank auf Adams Kopf nieder. Dort lag sie zitternd, und Adam kicherte los, wie damals, als er seinen Vater hatte sterben sehen.
    Kichere nur, mein Sohn, kichere nur!, flüsterte Antal Schön und schlurfte davon.
    Adam dankte Kigl für die Nachricht und ging am nächsten Tag zum Begräbnis. Von weitem beobachtete er die Söhne des Lehrers, den großen, kräftigen Peter, der selbst jetzt laut war und bezeichnenderweise zu spät kam, und Imre, den dünnen, spröden Menschen. Damals wusste er noch nicht, dass Klara den unsympathischen Mann heiraten würde. Adam hatte bereits ausspioniert, dass Imre Blumen pflanzte, hin und wieder folgte er ihm, leichthin und ohne Furcht und trat die Zwiebel aus der Erde. Ein andermal ließ er aus Neugier zu, dass die Blumen aufblühten. Er schnitt Rosen und Tulpen ab und warf sie Klara ins Fenster. Einmal drückte er ihr einen Strauß in die Hand, sie sah ihn an und lächelte abwesend. Selbst in diesem Moment hatte sie ihn nicht wahrgenommen. Manchmal ging er ihr nach, er folgte ihr nicht, sondern begleitete sie nur eine Straße lang, schritt neben ihr, er hätte sie berühren können, sie bemerkte ihn gar nicht. Wie war das möglich, wie?!
    Dann fuhr er noch einmal nach Pest zu den Ungarndeutschen, im Sommer zweiundvierzig, Tante Berta kränkelte bereits und freute sich gar nicht über seine Reise, doch Adam lockte die Neugier, was aus ihnen geworden war, seinen Feinden,

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