Blumenfresser
den abscheulichen Frikkers und den eitlen Semperger-Sprösslingen, wie würden die Onkel und Tanten ihn empfangen, und natürlich erwartete er nur die Bestätigung, dass es nicht anders sein würdeals bisher. Er wurde nicht enttäuscht. Dennoch überraschte es ihn, wie klein alles geworden war. Er traf kleinere, unbedeutendere und staubige Menschen an, und ein unbedeutenderes Haus blinzelte mit seinen halbblinden Fenstern über die Donau. Nur der Fluss war nach wie vor groß, größer, als ihm lieb war. Julia Frikker presste bei seiner Ankunft die Lippen zusammen, sie nickte steif. Sie blieb an ihrem Tischchen sitzen, wo sie vielleicht gerade an einem Brief schrieb. Der Schreck sah ihr aus den Augen, das immerhin tat wohl.
Eines Tages bemerkte er, dass Julia allein im Musikzimmer war, noch immer traktierte sie das Klavier, armer Beethoven, armer Schubert, wenn sie gehört hätten, was mit ihren Sonaten angestellt wurde! Das Mädchen war vollkommen untalentiert, sie hatte weder Rhythmusgefühl noch Musikalität; ihr Vater, der mit Brennholz handelnde Herr Frikker, hörte ihr aber immer so verzückt zu, dass sie es nicht übers Herz brachte, ihr Feiertagsgeklimper aufzugeben.
Auf dem Instrument lagen noch die Noten, der Luftzug blätterte darin. Adam trat zu dem Mädchen, das zum Fenster hinaussah. Ihre Schultern waren leicht gerötet und sommersprossig. Sie wandte sich um und starrte ihn ausdruckslos an, er neigte sich vor und bat sie, den Mund zu öffnen. Nur so wie früher. Sie brauche keine Angst zu haben. Ihre Gesichtsfarbe ging allmählich in Rot über, trotzig hob sie das Kinn und sperrte den Mund weit auf, so wie vor Jahren. Adam staunte hingerissen. Während er Julia nicht gesehen hatte, waren ihre wunderschönen Porzellanzähne kaputtgegangen, sie waren verfault, in ihrem Mund reihten sich kleine Stümpfe, verbrauchte schwarze Steinchen aneinander. Adam bekam eine Erektion, er küsste in den Mund hinein, sie ließ es zu und stieß auch seine Hand nicht weg, die sich auf ihre Brust verirrt hatte und sie zu streicheln begann, er zog sie vom Fenster weg und drückte sie gegen die Wand, sie keuchte, er ließ seine Hand abwärts gleiten und sah immerzu die löchrigen kleinen Zähnchen an, bis sein Samen sich verströmte.
Als Tante Berta starb, blieb auch ihr der Mund offen stehen.Sie hatte gespürt, dass ihr Ende nahte, und mit letzter Kraft Unmengen von Pudding, Himbeer-, Apfel-, Nuss-, und Erdbeerpudding gekocht, sämtliche Gefäße im Haus waren mit Pudding gefüllt. Tante Berta hustete wie ein Pferd und rührte ihren Pudding. Sie betete mit Pudding an den Händen, Schweißperlen standen ihr auf der Stirn, der Holzlöffel fiel ihr aus der Hand, und ach, auch der Pudding konnte sich dem Tod nicht in den Weg stellen.
Als Tante Berta starb, fiel ihr das Kinn auf die Brust.
Binde es hoch, wies ihn Doktor Schütz an, der tapfer einen Pudding nach dem anderen kostete und immer nur bestätigte, jawohl, jawohl, auch der ist hervorragend, auch der!
Ein paar Tage später kauften Verwandte das Haus, in dem Adam bis dahin gelebt hatte und in dem seine Mutter und sein Vater gestorben waren, er kannte die Käufer gar nicht, wenngleich ein, zwei Gestalten aus Pest unter ihnen waren, die er auch bei den Deutschen gesehen hatte. Aus Pflichtgefühl stritt Herr Schütz ein wenig mit ihnen, schließlich erreichte er, dass Adam bei einem serbischen Weinhändler in einer Gasse des Palánkviertels ein Mietzimmer bekam. Von da an lebte er in dem winzigen, stickigen Raum.
Als er in jenem Herbst, im Jahr dreiundvierzig, zu Klara und Imre Schöns Hochzeit ging, regte es ihn nicht besonders auf, dass Klara sich so entschieden hatte. Sicher musste das so sein. Es interessierte ihn nicht, dass Klara von nun an mit einem anderen leben, neben einem anderen schlafen, dass ein anderer Mann mit ihr ein Kind zeugen würde. Auf dem Hochzeitsfest aß er viel. Zugleich beobachtete er, wie viel Pelsőczy in sich hineinschüttete, eine Zeitlang versuchte er, mit ihm Schritt zu halten, doch so viel zu trinken war absolut unmöglich. Dann heftete er den Blick auf Peter, und später, nach dem Ende der Feier, ließ er Imre Schön und Klara nicht aus den Augen, die im Morgengrauen auf dem Hauptplatz herumtappten. Was sie so lange suchten, den Blick auf die Erde geheftet, war ihm ein Rätsel. Dann begriff er, dass sie wohl nach Blumen Ausschauhielten. Er knirschte mit den Zähnen, ohnmächtig vor Wut, den ganzen Abend hatte er die Frau angestarrt,
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