Blumenfresser
Pelsőczys Arme trieb. Sie waren einander auf einem Faschingsball begegnet, er hatte sie auf Anhieb bezaubert, der Vollmond schien, Silberkonfetti hafteten an ihrem Gesicht, sie küssten sich, und Pelsőczys Hand glitt über ihre Taille und weiter nach unten. Sie war glücklich gewesen, zum ersten und letzten Mal in ihrem Leben. In der Nacht kotzte sie, als müsse sie sich von einer schrecklichen Sünde reinigen. Doch es gab kein Gegenmittel. Der geistreiche Mann hatte sie in Bann geschlagen, nach ihrem ersten Rendezvous kam er täglich bei ihnen vorbei, mit riesigen Rosensträußen, Wiener Schokolade oder in Belgrad gestickten, goldgesäumten Tüchern in schmucken Schachteln. Er erzählte von der Welt, als spräche er von seinem Theater. Pelsőczy war adeliger Herkunft, und obwohl über seine im Nordosten des Landes ansässige Familie nur vage und wenig glaubwürdige Informationen existierten, ließ sich in Erfahrung bringen, dass er der sonderbare Spross eines verarmten Zweigs war, ein dünner Mann mit tiefer Stimme und großen Augen, dem beim Erzählen oft die Tränen kamen, und da er sie nie abwischte, klebten sie an seinem Gesicht wie Zuckerwasser. Margits Vater, der alte Benedek, glaubte Pelsőczy kein Wort, nahm das Theater jedoch hin. Stumm knirschte er mit den Zähnen, wenn der hemmungslose Kerl dem Mädchen bei Tisch die Hand streichelte, und einmal, als Margit Pelsőczy nach einem ausgedehnten Besuch hinausbegleitete, bemerkte er sogar, dass die zwei Silhouetten im Laubengang miteinander verschmolzen. Wenn sie später in besonders demütigende Situationen geriet, klagte sie nie bei ihren Eltern, das konnte sie nicht. An ihrem letzten Tag daheim baute sich der Vater vor ihr auf, seine Augen waren blutunterlaufen, der Atem ging hastig und pfeifend, seine ganze schnapsgetränkte Wut röchelte er der Tochter ins Gesicht, Margit solle bloß einmal wagen, mit Klagen oder Vorwürfen zu kommen, wenn sie jetzt gehe, so gehe sie für immer, und sollte sie sich nach Hause flüchten wollen, werde er sie mit dem Nudelholz davonjagen, zurück zu ihrem gesetzlichen Gemahl. Es sei ihre Entscheidung, seit Monaten beschwöre sie ihn, ihr zu erlauben, ihr Leben mit diesem Tunichtgut zu verbinden. Jónás Benedek war immer dagegen gewesen, und er hegte nur deshalb eine gewisse Hoffnung, weil er dachte, dieadelige Abstammung, die familiären Bande würden die Abenteuerlust des jungen Mannes eindämmen.
Klara besuchte ihre Großeltern selten, sie mochte den düsteren, nach Zwiebel riechenden Alten nicht, und auch mit der wortkargen, runzeligen Großmutter wurde sie nicht warm. Einmal beobachtete sie, wie die alte Frau eine Maus tötete. Sie verbrühte das fiepende Tier mit siedendem Wasser. Diese Leute schienen aus Stroh, aus dicken Pflanzenstengeln und aus Erde zu sein, den Großvater sah sie Lämmer verschneiden und Schweine schlachten. Die Gebäude des Anwesens waren furchteinflößend, und ein großer, schwarzer Hund wollte sie immer beißen. Auch den Alten war das Mädchen fremd, und diese wortlose, nie nachlassende Fremdheit drückte so stark auf sie, dass sie sich bald nicht mehr dagegen wehrte, ja sich im Grunde ihrer Seele sogar freute, dass auch andere erkannten, wie sehr sie nach ihrem Vater kam.
Wenn Großvater ein Königreich hätte, ob er ihr wohl die Hälfte abgeben würde?, fragte sie ihn einmal.
Nein, antwortete Benedek trocken.
Warum nicht, fragte sie, ihre Augen lächelten.
Du würdest es verprassen wie dein Vater!
Großpapa, hast du noch nie etwas verprasst?, fragte Klara, und in diesem Moment trat die Mutter auf den Laubengang hinaus, einen vollen Korb in der Hand, sie nahm oft Nahrungsmittel aus dem Elternhaus mit nach Hause. Sicher hatte sie die Ohrfeige gesehen. Sicher hatte sie das Klatschen gehört. Sicher wusste sie, warum Klara schniefte, während sie nach Hause trotteten. Trotzdem fragte sie nicht. Und Klara begann zu begreifen, dass ihre Mutter Angst hatte, zu fragen. Nicht, dass sie ihr nicht leidgetan hätte, sie hatte nur Angst, der Wahrheit ins Auge zu sehen.
Pelsőczy zog sie an sich, macht nichts, Kleine, deinem Großvater tut es mehr weh.
Dem tut gar nichts weh!
Pelsőczy überlegte, dann sagte er seufzend, du irrst dich.Weißt du denn nicht, dass es am meisten wehtut, wenn es so gar nicht wehtun will?!
Klaras Großeltern kamen im Sommer des Jahres 1836 ums Leben, damals loderten in der Stadt täglich Flammen auf, und bei einem dieser Unglücksfälle brannte auch das Benedek-Haus
Weitere Kostenlose Bücher