Blumenfresser
Reichtum. Ohne die Kleider zu wechseln, lief er aus dem Zimmer, in dem er bisher gelebt hatte. Er nahm keinen Abschied, wandte sich nicht einmal um, obwohl er ahnte, dass er es wohl kaum wiedersehen würde. Der Hof lag voller Trödel, auch die serbische Familie, die in dem großen Haus gewohnt hatte, war geflohen.
Ich habe Geld, sagte er zu dem Mädchen, als sie die Tür vorsichtig einen Spalt öffnete und ihre spitze, sommersprossige Nase heraussteckte. Adam wusste gleich, dass er am falschen Ort war, doch er wollte nicht den Rückzug antreten.
Das kann jeder sagen, flüsterte das Mädchen.
Wieviel soll es sein?
Das hängt davon ab, was Sie wollen. Im Türspalt sah ihr Mund aus wie ein Frosch.
An der Ecke liegt eine Leiche, sagte Adam.
Sie wird schon auferstehen, flüsterte sie hinter der Tür.
Man hat ihr die Kehle durchgeschnitten, das Messer steckt ihr noch im Hals!
Er stemmte sich gegen die Tür, das Mädchen taumelte zurück, sie wollte schreien, doch stattdessen entschied sie sich, mit einer Schere auf den ungebetenen Gast loszugehen. Adam war schneller, er schlug ihr mit der Faust ins Gesicht, sie fiel gegen die Wand und rutschte langsam zu Boden. Er hörte sich keuchen und zog langsam die Tür hinter sich zu. Das Mädchen betastete seine Nase, schniefte und spuckte ein wenig Blut. Adam ließ sich müde auf dem zerwühlten Bett nieder, zog eine Flasche aus der Tasche seines durchnässten Mantels, dann warf er den Geldbeutel auf den Tisch. Das Mädchen wischte sich das Kinn ab und starrte den Beutel an. Adam trank lange, dann hielt er ihr die Flasche hin.
Da, Schauspielerin!
Sind Sie gekommen, um sich über mich lustig zu machen?
Zieh dich aus, befahl er.
Schon gut, nicht gleich so wütend!
Sie nahm einen kräftigen Zug von dem Schnaps, hustete wie eine Katze und massierte sich die Brust. Mit argwöhnischen Blicken näherte sie sich dem Tisch und schnürte den Beutel auf.
Das ist sehr viel Geld, ihre Augen weiteten sich.
Alles, was ich habe, sagte Adam.
Was wollen Sie von mir?
Wie heißt du?
Ibolya, das wissen Sie doch, ich habe mich letztes Mal schon vorgestellt.
Letztes Mal?! Ibolya … Ibolya, wiederholte Adam gedankenverloren. Ibolya bedeutet Veilchen, bist denn auch du eine Blume?! Sag, hast du keine Angst vor dem Verwelken? Hast du keine Angst, dass du gefressen wirst?!
Wie?
Dass man dich verschlingt.
Sie sind wirklich gekommen, um sich über mich lustig zu machen, flüsterte sie und wurde rot. Adam blickte um sichund rieb sich nachdenklich die Stirn, der Anblick des Elends, den das Zimmer bot, interessierte ihn nicht, der muffige Geruch störte ihn nicht, er atmete mit offenem Mund, und immer wieder durchlief ihn ein Zittern. An den Wänden blühte der Schimmel, rankte sich graublau in alle Richtungen. Neben dem Fenster hing ein gerahmtes Bild, eine Bleistiftzeichnung, sie machte das Mädchen viel schöner, als es in Wirklichkeit war. Nur dieses Bild war gerahmt, ansonsten waren die Wände mit Zeichnungen und Skizzen bedeckt, die ausschließlich Männer darstellten, Herren mit Doppelkinn, Bürger der Stadt. Neben dem Porträt des Mädchens hing das Bild eines Mannes, den Adam besser kannte als die übrige Prominenz. Der Abgebildete schien ihn anzusehen. Er hatte ein schmales Gesicht und einen herben Blick. Ihm war Adam heute schon begegnet. Er hatte ihn töten wollen. Nun hatte er sich beruhigt. Es war kalt, sein Atem dampfte. Rund um den Ofen lagen Holzscheite, Bretter und Kohlestücke in ordentlich aufgeschichteten Stößen, doch das Mädchen heizte noch nicht. Offenbar wartete sie damit bis zum letzten Moment. Bis die Eisblumen auf dem Fenster Blüten trugen.
Wer hat die gezeichnet?, er deutete mit dem Kinn auf die Wand.
Ich, antwortete das Mädchen. Trotzig warf sie den Kopf zurück. Gefallen sie Ihnen nicht?
Doch, brummte er.
Kennen Sie sie?
Den einen dort − er wies auf das bekannte Gesicht − kenne ich gut.
Ich mache auch eins von Ihnen, wenn Sie wollen, sagte sie sanft.
Er schien es nicht gehört zu haben.
Heiz ein, ich friere. Er schlüpfte aus dem Mantel, und er zitterte tatsächlich. Sie machte Feuer, und wie sie vor dem Ofen kauerte und die Flammen anblies, erinnerte sie an einen Hund. Rauch, der in der Kehle kratzte, breitete sich in dem kleinenZimmer aus. Sie warf Scheite in die Flammen, Adams Geld hatte sie belebt und ihre Häuslichkeit geweckt. Eilig lüftete sie und stellte einen Topf mit Teewasser auf den Ofen. Als sie sich umdrehte, fiel ihr das
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