Blumenfresser
sie biss ihm in den Mund. Das Kind zwischen ihnen weinte auf, Adam gab es rasch zurück.
Ich weiß nicht, wann ich das nächste Mal kommen kann, flüsterte er, sein Gesicht brannte. Es kam ihm vor, als hätte Klara ihn entkleidet.
Noch auf der Straße raubte die auf ihn einstürzende Erregung ihm den Atem. An der Ecke musste er stehenbleiben, er rang nach Luft, lehnte sich an eine Hauswand, der Verputz rieselte unter seinen Fingern. Vor dem Burgtor entschied er sich, nicht zu seiner Kompanie zurückzukehren, er taumelte durch die Tür der erstbesten Kneipe und war ausgerechnet bei Frau Léni gelandet. Du lieber Himmel, hier hatte er doch auch das Mädchen sterben sehen! Schnell kippte er einen halben Krug Wein in sich hinein, um ruhig zu werden, dann lief er weiter. Der Himmel war in rötliches Licht getaucht, über der Stadt schwelte der Abend, die Schatten streckten sich und sanken einander an den Hals, Adam begann nun wirklich zu rennen. Herr Schütz fiel ihm ein, lange musste er ans Tor hämmern. Endlich kam der Alte herausgeschlurft, er starrte ihn an wie ein Gespenst.
Es ist spät, was zum Teufel willst du, Junge?!
Untersuchen Sie mich, Doktor Schütz!
Morgen, brummte der Doktor und wollte die Tür zudrücken, doch Adam stellte den Fuß in den Spalt.
Mir geht es gut, nur … ich bitte Sie, untersuchen Sie mich, flehte er. Ich kann nicht bis zum Morgen warten!
Der Alte gab nach, und Adam drängte sich erleichtert durch die Tür. Wieder überraschte ihn, wie vollgestopft die Zimmer waren, wie viele Steine funkelten und blitzten, wie viele Zeichnungen und schattenhafte Bilder an den Wänden hingen.
Herr Doktor, malen Sie die seltsamen Bilder selbst?
Hast du mich deshalb überfallen, um mich zu nachtschlafender Zeit über meine Bilder auszufragen?, knurrte der Alte, obwohl die Nacht noch fern war.
Na, sag, was fehlt dir?, brummte er dann.
Wie viele Narben habe ich am Körper?, fragte Adam leise.
Doktor Schütz sah ihn versteinert an, seine fleischigen Lippen begannen zu zittern. Als hätte Adams Frage eine alte, sehr schmerzhafte Wunde aufgerissen. Es gelang ihm, sich zur Ruhe zu zwingen, er schnupperte an Adams Gesicht.
Hast du getrunken?!
Adam zuckte die Achseln, doch weil ihm der Doktor einen Wink gab, warf er hastig die Kleider von sich. Der Alte beugte sich über ihn, seine Lippen bewegten sich lautlos. Er betastete den schmächtigen Leib, drückte an Adams Fleisch herum, strich über die Knochen.
Sagen Sie doch, sagen Sie!, flüsterte Adam.
Der Alte schwieg, sein Blick war verschleiert.
Adam holte das Gläschen hervor, das ihm der Arzt anvertraut hatte.
Ich bewahre es auf, nehme es überallhin mit, verdiene ich nicht einmal das?!
Jetzt grinste der Doktor, garstig und boshaft.
Zweiunddreißig, sagte er endlich.
Sicher?, flüsterte Adam, zählen Sie noch einmal!
Zieh dich an und verschwinde!, stampfte Doktor Schütz auf, und ohne sich weiter um den bibbernden, unbekleideten jungen Mann zu kümmern, zog er sich in sein Schlafzimmer zurück.
Erst später, auf der Straße, hielt Adam betroffen inne. Plötzlich wusste er, von welcher Wunde Klara gesprochen hatte. Jene, die an seinem Hals blühte, die hatte Doktor Schütz nicht gefunden, die von Nero Koszta zugefügte, die genauso aussah wie der kleine, rote Fleck auf ihrem Handteller.
Ach, wie werden wir staunen!
Es war Sonntag, der dreißigste Juli, noch am Nachmittag um zwei Uhr läuteten die Glocken, und die Menschen, wegen der nahenden Katastrophe bedrückt, strömten massenweise in die Kirchen. Die Angst war greifbar, sie lief durch die Straßen, doch nicht mehr geduckt, dicht an den Mauern entlang, sondern offen und provozierend. Die roten Schnüre der Dolmane lagen im Straßenstaub, illustrierte Groschenhefte, die den Ruhm der Revolution verkündeten, wurden versteckt. Viele Leute hasteten durch die Stadt, als gäbe es noch einen Ort, wohin man fliehen könnte. Von Süden rückten die Serben heran, von Osten die Russen. Haynau, der zutiefst verhasste kaiserliche General, hatte bereits vor dem Rathaus von Kiskunfélegyháza den kratzigen ungarischen Wein ausgespuckt und hundert deutsche Reiter abkommandiert, um Szeged auszukundschaften. Die Soldaten ritten leichtfertig in die Stadt ein und schauten sich auf der breiten, ausgestorbenen Hauptstraße so dreist und neugierig um, dass die Angst, die hinter den Zäunen kauerte, rasch in Zorn umschlug, eine Schar junger Männer stürzte sich auf die Reiter, einige wurden auf der Stelle
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