Blumenfresser
so traurig gemacht hat! Ein Bart war ihm gewachsen, das Haar struppig verklebt, Läuse quälten ihn. Ein Zittern ging durch seinen Leib, doch er öffnete die Augen nicht, stöhnte nur leise. Ein violetter Ring unter dem linken Auge, das halbe Gesicht schwarz, über die Stirn zog sich eine Schnittwunde.
Ist er das?, fragte Gilagóg, der hinter seiner Tochter wartete.
Somnakaj nickte.
Wann hast du es gesehen?, fragte der Vater.
Als wir in die Stadt gekommen sind, flüsterte sie. Aber es ist möglich, dass ich es nur geträumt habe, Vater.
So etwas gibt es nicht, widersprach Gilagóg, dass man es zuerst träumt und dann sieht. Erst siehst du es, dann träumst du davon.
Somnakaj wollte nicht mit dem Vater streiten, was wusste der Alte schon über Träume?! Immer sind die Träume früher da, immer werden sie früher geboren als das, was existiert!
Er ist ein Mörder, flüsterte sie.
Hast du auch geträumt, wem er das Leben genommen hat?
Ich habe gesehen, wie es geschehen ist!
Sie rief sich die Szene in Erinnerung. Damals hatten sie gerade die Feldflur der Stadt erreicht und sich am Flussufer versteckt, die Hitze brachte die Erde zum Platzen. Zwischen den Weiden am Ufer hatten sie Zuflucht gesucht, es war Krieg, die Welt wurde von Schüssen zerfetzt. Der bleiche junge Mann war auf die Zigeuner gestoßen und ohne Furcht ins Lager gekommen. Seine Blicke hefteten sich auf Somnakaj, als wolle er sie verzaubern, und ihr Vater versuchte vergebens, ihn zurückzuhalten, er wanderte ins wildeste Schlachtgetümmel hinein. Somnakaj hatte gesehen, wie es geschah, sie war dem Burschen nachgeschlichen. Den riesenhafte Mann, der jetzt vor ihnen lag, und jenen Burschen, der sich vor Schmerzen krümmte, beidehatte sie zwischen den Bäumen erspäht, sie versteckte sich hinter einer Eiche, klammerte sich an den Stamm und hätte sich vor Entsetzen fast die Zunge abgebissen. Der Bleiche stürzte zu Boden, der Riese tobte und brüllte, er durchstach ihn mit einem Blitz. Dann ruhte der Krieg wie ein müdes Raubtier. Stechend riechende Stille trat ein, Hunde hechelten im Gestrüpp. Sie sah den Burschen tot im angesengten, blutigen Gras liegen, sein Gesicht war friedlich, sein Körper zerfetzt. Sie riss eine Blume aus, die neben ihm blühte, und staunte, dass er gerade noch gelebt hatte und jetzt nur noch dalag und nie mehr aufstehen würde.
Somnakaj betrachtete den Verletzten erschrocken. Doch es hatte keinen Sinn, länger zu grübeln, sie hatte ihre Entscheidung bereits gefällt.
Wenn er gesund wird, gehe ich mit ihm, sagte sie entschlossen.
Gilagóg schwieg finster.
Woher weißt du, dass er fortgehen wird?, schnarrte er.
Der geht immer irgendwohin fort, sagte Somnakaj, ich kenne die Sorte.
Ein Ruf gellte, höhnisches Gelächter zerriss die Stille des Zimmers. Zigeunerbälger bewarfen Somnakaj mit Lehm und Disteln. Einige Stengel und Brocken fielen auch auf den Verletzten. Hinter ihnen stand Barka und beobachtete sie mit glühendem Blick.
Wie haben die Zigeuner den Herrn gerettet?
Es war Januar, seit Tagen schneite es stark. Gilagóg saß in der Hütte und schnitzte eine Trillerpfeife, die partout keinen Ton von sich geben wollte, als Peter hereinhinkte, sich die Stiefel abklopfte und ihn angrinste. Er winkte in Richtung des Handwagens in der Ecke, als könnte der Wahrhaftige seinen Gruß entgegennehmen. Und tatsächlich, die Decke bewegte sich.Gedankenverloren blickte Peter ins Leere, es hätte so viele Orte gegeben, wohin er hätte gehen können, wo ihn ein ordentliches Bett und leichte Kost erwarteten und wo er auch in der Nacht nicht allein war, doch er blieb hier. Vielleicht wegen des Mädchens, das oft neben ihm gestanden hatte, sogar ihre wirre Geschichte hatte er mit angehört, doch er nahm sie nicht ernst, ein Mörder sollte er sein, was für ein ungereimtes Zeug! Die Kleine war Klara wichtig, Peter ahnte, warum sie an dem Mädchen hing.
Draußen schwankte der Schneevorhang zwischen Himmel und Erde, die Zigeuner hatten sich in ihren Hütten verkrochen. Es war nicht empfehlenswert, herumzustreichen und auszuspähen, im alles bedeckenden Weiß hinterließen sie Spuren. Peter zog noch das Bein nach, kam aber wieder zu Kräften. Er hatte Kigl schon benachrichtigt, dass sie sich bald treffen könnten; dennoch gab es etwas, das ihn beunruhigte. Die Wunde in seiner Seite heilte zwar, aber häufig peinigte ihn ein solcher Schmerz, dass er sich in die Hand biss, um nicht aufzuschreien. Laut der Erklärung von Doktor Schütz
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