Blumenstrauss
Sebastian waren sie demnach nicht. Aber wer könnte sonst infrage kommen?
Er las sich die Karte noch einmal durch, doch sie gab ihm keinerlei Hinweis darauf, von wem der Blumengruß stammen könnte. Kein Absender, kein weiterer Name, nur das knappe S. und auf der Rückseite ganz klein der Name des beauftragten Blumenladens.
Im Geiste ging er noch einmal sämtliche Bekanntschaften durch, die er in den letzten Jahren gehabt hatte.
Davon gab es einige, stellte er beschämt fest. Seine Beziehungen hatten nie lange gehalten. Meist gab es nach einigen Monaten oder schon Wochen bereits die ersten Differenzen und Streitereien. Nicht selten war seine Arbeit der Grund dafür. Aktfotograf eines Hochglanz-Erotikmagazins zu sein, war ein sehr begehrter und hochbezahlter Job, aber es machte in gewisser Weise auch einsam. Max hatte es sich nach einigen schmerzlichen Erfahrungen in seiner Anfangszeit zur Prämisse gemacht, Job und Privates strikt zu trennen. So ließ er sich niemals mit den Models ein, ob weiblich oder männlich, nahm keinen von ihnen mit in seine Wohnung oder gab seine Telefonnummer oder Privatadresse weiter. Unter den durchaus fotogenen Models hatte es schon viele gegeben, die ihn interessiert hätten, und die ihn nach seiner Nummer oder um ein Date gebeten hatten, doch Max wich nicht von seinem Grundsatz ab. Deswegen trug er während der Arbeit auch einen kleinen Reif am Ringfinger der rechten Hand, um potenzielle Verehrer gleich von vornherein darüber in Kenntnis zu setzen, dass er kein Interesse an den leckeren Sahneschnitten hatte. Es war eine fiese Masche, aber sie wirkte und bewahrte ihn vor weiteren Enttäuschungen. Sehr schnell hatte er erkennen müssen, dass die Verehrer ihn lediglich als Sprungbrett für ihre eigene Karriere benutzen wollten. Dafür war er sich zu schade. Vielmehr suchte er sein persönliches Glück draußen auf der Straße, in Cafés, in Klubs oder beim Einkaufen im Supermarkt. Nur leider hielten die Beziehungen nicht lange. Zunächst angetan von dem tollen Job, machte sich bald Eifersucht breit, denn er fotografierte nicht nur unbekleidete Frauen, sondern auch Männer in eindeutigen Posen.
Als er den Blumenboten gesehen hatte, war sofort sein geschultes Auge angesprungen und hatte den Mann fachmännisch gescannt. Obwohl sich dieser hinter dem großen Strauß versteckt hatte, konnte er sehen, was für ein ansehnlicher Kerl unter der unscheinbaren, legeren Leinenhose und dem weiten, dunkelgrünen American Shirt steckte. Mit der optimalen Beleuchtung, ein kleines bisschen Make-up, um dessen Vorzüge herauszuholen und der passenden Garderobe – oder auch gänzlich ohne –, würde aus dem Überbringer des Straußes sicherlich ein Aufreißer für die nächste Ausgabe werden. Ihm waren die hohen Wangenknochen und das schmale Kinn sofort aufgefallen. Dieser freundliche, leicht verträumte Blick aus den sanften, dunklen Augen konnte mit etwas Kajalbetonung zu einem Puls beschleunigenden, lasziven Blick werden, der Männer- wie Frauenherzen höher schlagen ließ. Dazu der Drei-Tage-Bart, die leicht wuscheligen, hellbraunen Locken, die aussahen, als sei er eben aus dem Bett gekrochen, und diese sinnlichen Lippen … darauf standen die Abonnenten des Magazins.
In Max' Kopf verwandelte sich der Blumenhüne zu einem hochglanzpolierten Herzensräuber, der die Auflage gewaltig vorantreiben könnte. Ihm fielen auch bereits die passenden Posen ein, um diesen Beau in den richtigen Blickwinkel zu rücken. Allein schon bei der Vorstellung lief ihm das Wasser im Mund zusammen und in seiner Leibesmitte begann es, angenehm zu prickeln.
Aber rasch schob er jeden weiteren Gedanken daran wieder zur Seite. Solche Kerle waren entweder vergeben, oder nicht an Männern interessiert. Und so nüchtern und sachlich, wie er ihn angesehen hatte, war sich Max sicher, dass eine Frau auf den hübschen Blumenüberbringer wartete.
Aber zurück zu dem Blumenstrauß.
Wer könnte ihm zwanzig langstielige Baccara-Rosen schicken?
Vielleicht war es doch eines der Models? Oder ein Kollege oder auch Kollegin?
Sollte er vielleicht bei dem Blumenladen anrufen und nachfragen, von wem die Rosen geschickt worden waren?
Er schüttelte den Kopf. Das wäre ein echtes Armutszeugnis, genauso wie die Tatsache, dass er nicht wusste, wer ihn mit solch einem schmachtenden Blumengruß bedacht hatte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als am nächsten Tag normal ins Studio zu gehen und darauf zu hoffen, dass irgendjemand ihn mit
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